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Дым Отечества

Lew Tolstoi in Deutschland (Bilanz des Jubiläumsjahres)

Автор: Svetlana Voljskaia.
Добавлено: 2013-08-22 19:30:00

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2010, das in aller Welt für das Tolstoi-Jahr erklärt worden ist, ist ein guter Anlass, um über die unsterblichen Werke des Schriftstellers und die erstaunlichen Widersprüche seiner Persönlichkeit noch einmal nachzudenken. Dabei stellt man überraschend fest, dass Tolstoi außerhalb von Russland noch mehr Popularität genießt als in seiner Heimat.

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Irgendwie ganz russisch klingt der Titel eines Buches, das kürzlich in Deutschland veröffentlicht wurde: „Tolstois Flucht und Tod. Geschildert von seiner Tochter Alexandra. Mit den Briefen und Tagebüchern von Leo Tolstoi, dessen Gattin, seines Arztes und seiner Freunde (Verlag Diogenes, 2008, ISBN-13: 9783257236705, ISBN-10: 3257236700). Hier sind zahlreiche Dokumente zusammengetragen worden, die das tragische Kaleidoskop der Ereignisse festhalten, die Tolstoi zur Flucht von Zuhause und zum darauf folgenden Tod auf der gottvergessenen Bahnstation „Astapovo" trieben.

Dem hundertsten Todestag Tolstois war die diesjährige Buchmesse in München gewidmet, die vom Münchener Literaturhaus unter Teilnahme des Moskauer Tolstoi-Museums veranstaltet wurde. Sich mit den Fakten der Biographie des meistgelesenen Schriftstellers befassend, rückte die Messe ein neues Problem ins Blickfeld der Öffentlichkeit: die Frage der Beziehungen Tolstois zu Deutschland. Es lohnt sich wirklich, diese Zusammenhänge zu erforschen, zumindest um die Frage nach den Ursachen der unglaublichen Popularität des Schriftstellers beim deutschen Leser zu beantworten.

Vor allem lässt sich festhalten, dass Lew Tolstois persönliches Interesse und viele Fakten seiner Biographie ihn mit diesem Land verbanden. Er besuchte Deutschland zweimal: 1857 und 1861, war in Baden-Baden, Eisenach, Jena, Berlin und Leipzig, sah sich die Sehenswürdigkeiten an, stattete seiner Tante Alexandra einen Besuch ab und ließ im Kasino nicht nur das ganze eigene, sondern auch geliehenes Geld. Genauso wie in allen anderen Städten und Ländern dachte er während seines Aufenthalts in Deutschland viel nach. Aus den Tagebüchern des Schriftstellers geht hervor, dass es wichtige Probleme in Russland waren, beispielsweise die notwendigen Bildungs- und Agrarreformen, die ihn damals beschäftigten. Nach einem Gespräch mit Berthold Auerbach schrieb er: "Ein Licht ist mir aufgegangen". Genau diesen Satz in deutscher Sprache trug Tolstoi 1861 in sein Tagebuch ein.

Für jeden russischen Adligen des 19. Jahrhunderts war perfektes Französisch Pflicht. Tolstois Tagebücher zeugen außerdem von den sehr guten Deutschkenntnissen des Autors. Als Kind hatte Lew einen deutschen Hauslehrer, später an der Universität zu Kasan' bekam er Unterricht von einem brillanten deutschen Dozenten und als Schriftsteller unterhielt einen intensiven Briefwechsel mit deutschen Lesern, Verlegern und Übersetzern seiner Werke. Die ersten Übersetzungen ins Deutsche wurden 1860 gemacht, ab diesem Zeitpunkt hat man seine Werke hier regelmäßig veröffentlicht. Es ist bekannt, dass sein „Krieg und Frieden" vom ehemaligen Hauslehrern der Kinder Tolstois, Ernst Strenge, zum ersten Mal übersetzt worden ist. Wahrscheinlich basierte seine Übersetzung nicht auf dem Original, sondern auf dem gekürzten französischen Text von I. Paskevic, nichtsdestotrotz wurde sie mehrmals neu aufgelegt (1885, 1892 und 1919).

Den Ausmaß an Schwierigkeiten, mit denen ein Tolstoi-Übersetzer zu kämpfen hat, kann man sich leicht vorstellen! Vor allem hat die berühmte Schwerfälligkeit seines Stils es in sich! Wenn man diesen holprigen Stil aber faltenfrei bügelt - ist es kein Tolstoj mehr. Allein „Anna Karenina" wurde jedoch mehr als zwanzigmal übersetzt. Die Übersetzung Nummer 21 gehört Rosemarie Tietze und sie, so die zahlreichen Kritiker, ist die beste von allen. Die Münchnerin wurde sogar mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.

Heute findet man in den Katalogen deutscher Stadtbibliotheken nicht nur die Werke von Lew Tolstoi, sondern auch hunderte Bücher, die in irgendwelcher Art und Weise mit seinem Leben und Werk zu tun haben (in München, z.B. trägt eine Bibliothek seinen Namen). Letztes Jahr wurden die Bestände der Bibliotheken und Buchläden durch viele neue Bücher erweitert, die anlässlich des hundertsten Todestags des Schriftstellers erschienen sind.

Was beschäftigt heute die deutschen Forscher am Leben und Werk Tolstojs? Welche Probleme stehen im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit? Über diese Fragen nachzudenken, war das Anliegen der Liebhaber russischer Literaturwissenschaft, die sich im Literaturcafe im Dezember 2010 versammelt hatten.

Beständige Aufmerksamkeit genießt in Deutschland immer noch die religiöse Lehre von L. Tolstoi, dessen besonderen Vorstellungen von der geistigen und moralischen Seite des menschlichen Lebens. So findet man im Buch von Martin Tamcke „Tolstojs Religion. Eine spirituelle Biographie" (Verlag: Insel, Frankfurt 2010, ISBN-13: 9783458174837, ISBN-10: 3458174834) eine Analyse der Ideen der Tolstojaner - Bewegung. Gerade diese in Russland umstrittene Theorie ist nach Tamcke der Schlüssel zum Verständnis der Suche Tostojs nach dem Sinn des Lebens und des Pathos fast aller seinen Werke.

Im Mittelpunkt steht bei vielen deutschen Autoren die Persönlichkeit Tolstois. Es handelt sich meist um biografische Veröffentlichungen oder Memoirenliteratur. Ulrich Schmid rekonstruiert in seinem Buch „Lew Tolstoi" (Verlag: Beck, 2010, ISBN-13: 9783406587931, ISBN-10: 3406587933) die Geschichte des Lebens und des Werks Tolstois. Diese kurz gehaltene Biografie erlaubt es, die Versuche Tolstois, sich selbst und die Welt um ihn herum zu verbessern, in ihrer Entwicklung bis zum bitteren Ende nachzuvollziehen: offener Krieg mit der eigenen Ehefrau, Ungunst des Zaren und der Kirchenbann, der über Tolstoi verhängt wird.

Zum ersten Mal auf Deutsch erschienen sind die „Erinnerungen an den Grafen Leo Tolstoi" des amerikanischen Schriftstellers, Übersetzers und Diplomaten Eugen Schuyler, der Tolstoi mehrmals persönlich besucht hatte (Verlag: Europäischer Hochschulverlag 2010, ISBN-13: 9783867412803, ISBN-10: 3867412804).

Die Tagebücher von Alexander Goldenweiser erschienen unter dem Titel „Entlasse mich aus deinem Herzen". - Tolstois letztes Jahr. (Mit e. Vorw. v. Margit Bräuer Verlag: Aufbau-Verlag 2010, ISBN-13: 9783458174806, ISBN-10: 345817480X). Der Autor verbrachte viel Zeit mit Tolstoi auf seinem Landgut „Jasnaja Poljana" und war ungewollt Zeuge der Auseinandersetzungen und Streitereien zwischen der Eheleuten, die die Familie entzweiten und schließlich zur Entscheidung des 82-jährigen Tolstoi führten, das Haus und die Familie zu verlassen. Dank dieses Buches hat der deutsche Leser zum ersten Mal die Möglichkeit, das letzte Jahr im Leben von Tolstoi, das Jahr 1910, mitzuerleben.

Das Thema des gescheiterten Ehe Tolstois ist in Deutschland heute nicht weniger aktuell, als in Russland:

«Man findet in der Geschichte kein anderes Paar, dessen Ehe in der Gesellschaft so heftig diskutiert wurde, wie das Leben von Lew und Sofja Tolstoj. Über kein anderes Paar wurden so viele Gerüchte und Spekulationen verbreitet, wie über sie. Die intimsten Details dieser Beziehung wurden unter die Lupe genommen. Es gibt wahrscheinlich in der Geschichte Russlands keine andere Frau, die von den Nachkommen so wütend beschuldigt wird, eine schlechte Ehefrau und Schuld am Tod ihres genialen Ehemannes zu sein. In Wirklichkeit aber diente sie ihm ergeben ihr Leben lang und lebte nicht nach ihren, sondern nach seinen Vorstellungen und Erwartungen. Das andere Problem ist, dass es nicht nur schwierig, sondern gar unmöglich ist, ihm alles recht zu machen, denn ein Mensch auf der Suche nach seinem Ideal ist dazu verurteilt, in Kommunikation mit Mitmenschen enttäuscht zu werden ".[1]

Die deutschen Autoren sind in dieser Hinsicht weniger kategorisch und erlauben sich keine Behauptungen, die nicht mit Quellen belegt sind.

2009 wurde der Roman von Sofja Tolstaja „Eine Frage der Schuld" auf Deutsch veröffentlicht: Sofja Tolstaja, Ursula Keller, Alfred Frank, „Eine Frage der Schuld" - Mit der "Kurzen Autobiographie der Gräfin S. A. Tolstaja"(eBook). (Übersetzer: Frank, Alfred; Keller, Ursula eBook, Verlag: PeP eBooks, 2009, Manesse Verlag, ISBN-13: 9783641033880, ISBN-10). Das Buch ist eine kleine Sensation geworden. Ein neuer Name in der russischen Literatur wurde für die Leserschaft entdeckt.

Im Vorwort des Buches wird die Tatsache angesprochen, dass „Eine Frage der Schuld" als Antwort auf die berühmt - berüchtigte „Kreuzersonate" von Lew Tolstoi, die mit Eifersucht und Frauenhass erfüllt ist, gedacht wurde. Im Werk von Tolstaja handeln dieselben Figuren: die liebenden Eheleute, die sich immer mehr von einander entfremden. In diesem Fall aber wird die Situation aus der Sicht der Frau gezeigt. Die Autorin bleibt sachlich, ihr Text ist psychisch getreu und stilistisch fein. Es stellt sich heraus, dass die Ehefrau Lew Tolstois eine sehr talentierte Schriftstellerin war. Viele Ehefrauen begabter Männer, selbst talentiert, bleiben bewusst im Schatten ihrer Ehemänner. Im besten Fall werden sie ihre Musen, im schlimmsten - Haushälterinnen. So auch Sofja Tolstaja, die ihren ersten Roman bereits vor der Heirat verbrannte. Sie wurde eine fürsorgliche Ehefrau und Mutter von vielen Kindern.

2009 wurden die „Kreuzersonate" Lew Tolstois und „Eine Frage der Schuld" sowohl in Deutschland als auch in Russland als Einzelausgabe und in Neuübersetzung veröffentlicht: Leo N. Tolstoi Sofja A. Tolstaja Die Kreutzersonate; Eine Frage der Schuld (Nachw. v. Olga Martynova u. Oleg Jurjew, Übersetzung: Olga Radetzkaja u. Alfred Frank, Verlag: Manesse, 2010, ISBN-13: 9783717522607, ISBN-10: 3717522604). Die Autoren dieser Ausgabe erklären, dass der Schriftsteller, der in der „Kreuzersonate" gegen die Sexualität und die Ehe als Institution ankämpft, sich mit großer Sicherheit an seiner Frau rächen wollte. Um so wichtiger ist es, die Position Sofjjas zu verstehen. Sie hat alles dafür getan, um die Publikation der „Kreuzersonate" zu ermöglichen, sie fuhr sogar nach Moskau und bat den Zaren um die Erlaubnis. Ihre Antwort auf die Beschuldigungen ihres Mannes, „Eine Frage der Schuld" bleibt zu Lebzeiten der Autorin unveröffentlicht. Warum?

Die Antwort auf diese Frage liefern die Macher des deutsch-russischen Films „Ein Russischer Sommer", der ebenfalls 2010 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. DieProduktion ist eine Verfilmung des Buches „The Last Station" (1990) des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Jay Parini. Parinis Buch stützt sich auf die Tagebücher Lew Tolstois und auf die Aufzeichnungen der Familienmitglieder, Freunde und Bekannter. Im Film des Regisseurs und Drehbuchautors, des Amerikaners Michael Hoffman, geht es in erster Linie um die Liebe. Lew und Sofja haben sich bis ans Lebensende geliebt. „In diesem Film geht es um Liebe und Ehe und darum, welch komplizierte Wege die Liebe geht...".. ,»[2].

Die große und schwierige Liebe der Eheleute Tolstoi kommt, nach Meinung von Ursula Keller und Natalia Schrandak, am besten in deren dramatischem Briefwechsel zum Ausdruck: Lew Tolstoj - Sofja Tolstaja: Eine Ehe in Briefen (Best.Nr. des Verlages: 17480, ISBN-13: 9783458174806, ISBN-10: 345817480X). Erstmals ist Briefwechsel der Tolstois jetzt auch in Deutsch erschienen. Es stellt sich eine berechtigte Frage. Wie kommt es zwischen den Eheleuten zu so einem regen Briefwechsel, wenn sie kaum eine Zeitlang getrennt waren? Der Schriftsteller hatte sich nach zwanzig Jahren des Ehelebens immer mehr von seiner Familie abgegrenzt und die Briefe wurden zur einzigen Kommunikationsmöglichkeit der Eheleute. Die Briefe spiegeln und fixieren ihre wahren Beziehungen.

Das erfolgreiche Duo der deutschen Slawistin Ursula Keller mit der russischen Mitautorin Natalja Scharandak verdient besondere Aufmerksamkeit. Die Wissenschaftlerinnen geben ein hervorragendes Team ab, indem die Stärken der beiden sich auf eine harmonische Weise vervollständigen. Der russische Leser kennt zwei Bücher der Kunstwissenschaftlerin Natalja Scharandak: ein publizistisches: „All- und Festtag der zeitgenossischen Künstlerin" und die Erzählungen: „Diese entzückende Kunst". Ursula Keller hat Slawistik und Germanistik studiert, arbeitet als Übersetzerin, schreibt wissenschaftliche Arbeiten und biographische Essays und war eine der Wissenschaftler, die das Schriftstellertalent Sofja Tolstajas für das deutsche Publikum entdeckten. Die Zusammenarbeit von Keller und Scharandak erwies sich als sehr produktiv. Sie erlaubte ihnen, die komplexen Sphären der russischen Geschichte und Kultur zu durchdringen und sie der deutschen Leserschaft zugänglich zu machen.

Am fruchtbarsten war bisher die Zusammenarbeit der Autorinnen am Buch „Sofia Andrejewna Tolstaja. Ein Leben an der Seite Tolstojs", das im Verlag „Insel" 2009 erschien (ISBN: 978-3-458-17408-0). Der größte Vorzug des Buches ist dessen Wahrhaftigkeit. Es basiert auf historischen Quellen, Tagebüchern, Briefen und den noch nicht in vollem Umfang erschienenen Memoiren S. Tolstajas „Mein Leben". In diesem Fall aber haben sich die Berlinerinnen das Recht nicht nehmen lassen, ihre eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen.

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In den sieben Kapiteln des Buches wird das Geschehen aus der Perspektive der Frau gezeigt. Ursula Keller und Natalja Scharandak wollten nicht, dass die Gattin Tolstojs im Schatten ihres großen Mannes bleibt. Sie beweisen, dass diese Frau für sich genommen jedwede Aufmerksamkeit verdient. Das Buch stellt somit den einzigartigen Versuch dar, eine literarische Biographie von Sofja Tolstaja zu verfassen.

Vor den Augen des Lesers wird Sofjjas gesamtes Leben ausgebreitet. Das erste Kapitel heißt „Sonecka Bers aus dem Kreml", das letzte „Das Leben ohne Tolstoj". Am Anfang sieht man ein liebenswertes, aufgewecktes und begabtes junges Mädchen. Sonecka malt, spielt Musik, fotografiert und schreibt. Außerdem war sie 17 Jahre jünger als der Ehemann, der es faustdick hinter den Ohren hatte, und musste sich ihm vom Anfang an fügen.

Die Autorinnen sprechen das Problem der per Gesetz festgehaltenen sexuellen Rechtlosigkeit Sonjas an. Bestimmt wissen sie, wie dieses Problem in der russischen Kritik diskutiert wurde. Tolstoj hat sich oft zu Fragen der Sexualität geäußert. Dabei hat er sich offensichtlich keine Mühe gegeben, die entsprechende aufklärerische Literatur zu lesen[3]. Sein Leben lang hielt er Sex für die größtmögliche Sünde (was ihn nicht daran hinderte, ausgiebig zu sündigen), jedoch hat er keinen Gedanken daran verloren, wie man mit seiner Geliebten eine harmonische Beziehung führt. Seine Erfahrungen vor der Ehe begrenzten sich auf Prostituierte und Bäuerinnen. Seiner Ehefrau blieb nur die Rolle der Mutter seiner Kinder.

Mustergültig meisterte Tolstaja diese Rolle. Sie nähte Kleider für alle ihre 13 (!) Kinder, lehrte sie das Lesen und das Klavierspielen. Sie kränkelten oft, fünf starben im Kindesalter. Jedoch fand Tolstaja in den ersten zwanzig Ehejahren genug Kraft für alle ihre Aufgaben. Der Graf hatte etwas gegen Ammen, Kinderfrauen und Hauslehrer und Sofja brauchte Jahre, um sich damit durchzusetzen. Die Gräfin war nie im Ausland und konnte nicht einmal davon träumen, was die Frauen ihrer Stellung gewöhnlich hatten: Ball- und Theaterbesuche, schöne Kleider... Für sie war die geistige Harmonie mit ihrem Mann und der Dienst an seinem Talent viel wichtiger.

Sie lebte auf seinem Landgut „Jasnaja Poljana" und tat alles, um seinem Ideal zu entsprechen. Sie empfing bei sich die Bauern mit ihren Bitten und Sorgen, eröffnete ein Krankenhaus und behandelte Kranke. Außerdem nahm sie an der schriftstellerischer Tätigkeit Tolstois teil. Sie schrieb seine Werke ins Reine, denn nur sie war imstande, seine Schrift zu entziffern. Damals sagte sie: „Mit meinem Mann als Schriftsteller war ich glücklich!"

Laut Keller und Scharandak war nach 1889 der Zwist in der Familie Tolstoi unvermeidlich. Zu jener Zeit verlor Lew Tolstoj jedes Interesse am Familienleben und am Schreiben und begann seine Suche nach dem Sinn des Lebens. Zu demselben Zeitpunkt erkannte Sofja Tolstaja die Sinnlosigkeit der von ihr gebrachten Opfer und es kam zu ersten großen Streitigkeiten zwischen den Eheleuten. Die Tatsache, dass Lew oft Entscheidungen traf, die bei Sofja auf völliges Unverständnis stießen, wie z. B. dass die jüngeren Kinder keinen Musik- oder Fremdsprachenunterricht erhalten sollten oder dass die Familie auf die Autorenrechte der Tolstoi-Werke verzichtet muss. Während den letzten Jahren der Ehe überließ Tolstoi seiner Frau alle familiären Sorgen und Pflichten. So musste die tapfere Sofja Tolstaja allein um das Wohlergehen der Familie und für die Interesse der Kinder kämpfen. Bei alldem hörte sie nie auf, ihren „Ljowuschka" zu lieben, ein Genie, das sich im Familienalltag höchst egoistisch verhielt und bei der ganzen Grübelei über seine Schuld vor der Menschheit nie seine Schuld vor seiner Frau erkannte.

In seiner Rezension schreibt Bernd Heimberger: „Die Verfasserinnen neigen der Tolstaja nicht nur zu. Ihre Sympathie gilt unverhohlen der vielseitigen Frau, die auch Schriftstellerin war. Tolstaja ist eine Vorgängerin von Katia Mann. Eine Frau also, die ihre eigenen Begabungen stutzte, um für eine größere da zu sein. Um die Bedingungen für das bedeutendere Talent zu schaffen und dauerhaft zu sichern[4]. Und weiter: «...Der Tolstaja soll Gerechtigkeit widerfahren, die ihr bereits zu Lebzeiten - wie vorausgesehen - meist versagt wurde. Alle Gerechtigkeit nahm der erklärte, verklärte Weise von Jasnaja Poljana für sich in Anspruch"[5].

Der Autor dieser Rezension gibt dem Werk von Ursula Keller und Natalja Scharandak die höchste Note. Dabei unterstreicht er, dass „die Selbstzeugnisse das Wichtigste und Wirkungsvollste sind und durch nichts zu übertreffen". Jedoch darauf folgt eine unerwartete Schlussfolgerung: „Das heißt nun nicht, daß die Verfasserinnen völlig verzichteten, auf Überliefertes zu reagieren. Immer wieder bewerten sie, was durch die Äußerungen von Sonja und Lew hinreichend bewertet ist. Was so stehen bleiben könnte. Was die Leser für sich reflektieren sollten".[6]. Leider ist es nicht so selbstverständlich: die Wörterbücher und Briefe wurden nicht zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt, aber nicht jeder Leser hat das nötige Wissen, um eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Mir scheint, dass es das kritische Pathos ist, das dieses Buch ausmacht, insbesondere weil es auf der Kompetenz der Autorinnen basiert, die Beherrschung des Materials, das Wissen über die geschichtlichen und kulturellen Besonderheiten, Sitten, Mentalität und Traditionen betreffend. Dieses Wissen erlaubt den Autorinnen, ihre eigene Meinung zu äußern, gut begründet und ziemlich feministisch.

Ursula Keller und Natalja Scharandak bewirkten, dass die Persönlichkeit der Frau, die Lew Tolstoi ihr Leben widmete, aus dem Schatten seiner grandiosen Figur heraustritt. Dabei haben sie den Schriftsteller selbst nicht aus den Augen verloren. In diesem Zusammenhang ist noch eine gemeinsame Arbeit der Autorinnen wichtig, das Essay Lew Tolstoj (Verlag: Rowohlt Tb. 2010 ISBN-13: 9783499507175, ISBN-10: 349950717X). In diesem Buch sind der Lebensweg und das Werk Tolstois sehr knapp und bündig dargestellt, zum Unterschied von ähnlichen Arbeiten, die in Russland erscheinen. Vom besonderen Interesse sind an diesem Werk die ausführlichen Zusatzmaterialien wie Namenregister, historische und biographische Angaben zu wichtigen Persönlichkeiten und Abbildungen. Dieses Buch empfiehlt sich sowohl einem Laien zum ersten Kennenlernen als auch einem Literaturwissenschaftler.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Lew Tolstoi unter anderen russischen Literaten in der deutschen Rezeption einen besonderen Platz einnimmt. In Deutschland, im Unterschied zu Russland, genießt er ein hohes Ansehen, bleibt ein moralisches und geistiges Vorbild. Trotz einem großen Maß an Idealisierung Tolstois, sind die Beiträge der deutschen Forscher sehr wichtig und können fortgeschrieben werden.

Übersetzung: Olga Koseniuk



  [1]  Elena Prokofjeva: Sofjja Bers und Lew Tolstoj (sontehnika.ru)

  [2]  Deutsche Welle vom 29.01.2010

  [3]  Anton Cechov im Brief an A.N. Plesceev 1890: „Tolstoj behauptet etwas, wovon er keine Ahnung hat und was er aus seiner Sturheit heraus nicht verstehen will. Alle seine Ausführungen von Syphilis, Prostituierten, der angeblichen Abneigung der Frauen dem Geschlechtverkehr gegenüber können nicht nur bestritten werden, sondern offenbaren ihn als einen unwissenden Menschen, der sich nie die Mühe gegeben hat, zwei oder drei Sachbücher zu diesem Thema zu lesen"

  [4]  Bernd Heimberger: Tapfere, trotzige Tolstaja (16.03.2009)(Literaturmarkt.info)

  [5]  Ebd. (ins Russische von S. Volskaia).

  [6]  Ebd.



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