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Дым Отечества

“Meine Stadt sah ich wieder…“ (O. Mandelstam)

Автор: Svetlana Voljskaia
Добавлено: 2013-08-23 03:30:00

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In welchem Land gibt es heutzutage keine Menschen, die die Poesie Ossip (Iosif) Mandelstams verehren und schätzen? Sie spüren alle zugleich ihre Kraft und durchdringende Tiefe. Die allen bekannten Zeilen „…Meine Stadt sah ich wieder, zu Tränen rührend vertraut…“ können sich im gleichen Maße auf St. Petersburg, auf Berlin oder Leipzig beziehen, abhängig von unseren jeweiligen Lebensumständen.

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Ossip Mandelstam 1914.
Ossip Mandelstam

In Deutschland gibt es wie überall Freunde und Kenner des Werkes von Mandelstam. An erster Stelle sind das natürlich die russischsprachigen Leser, aber es gibt auch viele einheimische Leser, die sich für den Dichter interessieren. In Deutschland sind die aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten „Erinnerungen“ von Mandelstams Ehefrau Nadeschda gut bekannt. In Amerika wurden sie schließlich 20 Jahre früher als in Russland herausgegeben[1]. 1963 erschien im Fischerverlag in Frankfurt am Main die Gedichtsammlung „Drei russische Dichter“, in dem der französische Dichter Paul Celan 44 Gedichte Mandelstams ins Deutsche übersetzt hat.

Denjenigen, die das Werk Ossip Mandelstams schätzen, ist in diesem Jahr sicher ein trauriges Jubiläum aufgefallen: 70 Jahre sind seit dem Todestag des Dichters vergangen. Der Nichtstuerei und konterrevolutionärer Tätigkeit beschuldigt, starb er am 27. Dezember 1938 in einem von Stalins Lagern. Von den unerträglichen, menschenunwürdigen Lebensbedingungen in der Haft und den letzten Lebenswochen Mandelstams wissen nur einige wenige Eingeweihte… Das Leben des Dichters ist von Geheimnissen und Legenden umwoben.

Nicht jeder weiß, dass Mandelstam in einer jüdisch-orthodoxen Familie aufgewachsen ist und sogar Rabbiner werden wollte. Bis zur Revolution bereiste er Italien und die Schweiz, von 1909 bis1910 studierte er Romanische Sprachen und Philosophie in Heidelberg. 1922 wurde in Berlin Mandelstams Gedichtsammlung „Tristia“ mit den zwischen 1916 und 1920 datierten Werken veröffentlicht. Die jüdische Online-Enzyklopädie beschreibt dieses Buch als "eine unendliche Elegie über die Trennung von geliebten Frauen, von dem im Sterben liegenden Petersburg, Europa, der Krim und der Freiheit“.

Außerdem wissen wir, dass Mandelstam die Tenischewsker Handelsschule in St. Petersburg absolviert und davon geträumt hat, an der philologischen Fakultät zu studieren. Dafür wechselte er sogar seinen Glauben und ließ sich in der Methodistischen Kirche in Wyborg taufen. Grund dafür waren die so genannte Judenquoten an den Universitäten. Mandelstam wurde dann jedoch durch die Revolution daran gehindert, das Studium abzuschließen.

Mandelstams Gedichte wurden in der Zeit vor der Revolution schlagartig und unerwartet populär und wurden regelmäßig in der Presse abgedruckt. Als Künstler schloss er sich den Akmeisten an und war mit N. Gumiljov, A. Achmatowa und M. Kuzmin befreundet.

Die Oktoberrevolution nannte Mandelstam eine „Renaissance des Kollektivs“. Er arbeitete im Volkskommisariat für Bildungswesen und trat gleichzeitig bei allen möglichen Abendveranstaltungen mit der Lesung seiner Gedichte auf. In der Zeit der schlimmsten Hungersnot nach der Gründung der Sowjetunion gelang es dem Dichter in den Süden auszu- reisen. Dort, auf der Krim, wurde er vom Geheimdienst Wrangels verhaftet. Später kehrte er mit Hilfe Ehrenburgs nach Russland zurück und versuchte sich dort nach allen Kräften mit dem neuen politischen System zu arrangieren.

Während der frühen sowjetischen Jahre haben ihn die proletarischen Führer Lunatscharski und Bucharin protegiert. Sie halfen ihm in dieser schwierigen Zeit, indem sie ihn mit Lebensmitteln versorgten, ihm Dienstreisen ermöglichten und auch eine Wohnung in Moskau zur Verfügung stellten. Außerdem gelang es mit ihrer Hilfe, einige Gedichtbände zu drucken.

Seine mehrfachen Versuche mit der sowjetischen Presse zusammenzuarbeiten brachten ihm jedoch nur Schwierigkeiten ein. Es folgten jedesmal Verleumdungen, Deportationen, Plagiatsvorwürfe und Gerichtsverhandlungen. Nachlesen kann man Mandelstams schwere Erfahrungen in „Tschetvertaja proza“ („Die vierte Prosa“), die 1966 im Ausland gedruckt wurde.

Was den Dichter in einen frühen und ruhmlosen Tod trieb, hat man in seiner Heimat lange verschwiegen. Die nicht-offiziellen Informationen sind unvollständig und widersprechen sich oft. Einerseits kann man dort lesen, dass Mandelstam im Januar 1937 einen Zyklus Lobgedichte an Stalin verfasst habe, um seine Familienangehörigen vor dem unumgänglichen Tod zu retten. Andererseits sind auch seine mutigen und bitteren Worte, die die stalinsche Epoche sehr präzise und ausdrucksvoll charakterisieren, bekannt:


Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,
Wir reden, dass uns auf zehn Schritte keiner hört…


Der Dichter und die Masse, der Dichter und die politische Führung, der Dichter und die Staatsmacht – all diese Themen sind wahrhaft unerschöpflich und in Bezug auf Mandelstam führen sie bis heute zu den widersprüchlichsten und Meinungen und Schlussfolgerungen, in Russland aber auch weit über seine Grenzen hinaus. In diesem Sinn kommen den Erinnerungen an den Dichter, die zuerst im Ausland frei von jeder Zensurbeschränkung veröffentlicht wurden, besondere Bedeutung zu.

Eine dieser wertvollen Erinnerungen an Mandelstam sind die Memoiren Irina Odoevcevas „An den Ufern der Newa“, die 1967 in Paris veröffentlicht wurden. Sie umfassen nur einige wenige Monate zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Leben Mandelstams. Dabei stellt sich die Schriftstellerin die Frage, wer eigentlich Mandelstam ist. Hauptsächlich ausgehend von seiner Bedeutung als Dichter schreibt sie „Wer Mandelstam eigentlich ist, fand ich erst vor kurzem heraus. In einer Nacht las ich „Kamen´“(Der Stein) durch. Dabei haben sich mir augenblicklich und unauslöschlich die Mehrzahl seiner Gedichte auswendig eingeprägt und oft wiederhole ich für mich selbst:


Der stillen Freude zu atmen, zu leben
Wem hab ich dafür den Handschlag zu geben?“[2]


Mit großer Genauigkeit erinnert sich die Schriftstellerin an alle Einzelheiten, jede ihrer Begegnungen mit Mandelstam: bei Freunden, in Vorlesungen im Haus der Künste, auf den regennassen oder schneebedeckten Straßen Petersburgs. Hier ist alles wichtig: von den Kleinigkeiten des Alltags bis zu den Momenten einer tiefen poetischen Betrachtung.

Uebersetzung Dorothea Merz



  [1]  Der erste Band „Vospominanija“ (Erinnerungen) N. Mandelstams erschien 1970 in New York, in Russland erst 1990 („Moskovskij rabotschij“) und 1999 („Soglasie“).

  [2]  I. Odoevceva, „Na beregach Seny“ (An den Ufern der Seine): Chudoschestvennaja literatura, M., 1989, s. 120.



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