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Äûì Îòå÷åñòâà

Aus „Memoiren“ von Teffi (Tage in Odessa). Aus dem Russischen (Teil 1)

Äîáàâëåíî: 2013-08-23 10:00:00

+ - Ðàçìåð øðèôòà

Übersetzung: Olga Koseniuk


Odessa war damals der Treffpunkt aller Flüchtlinge: hier versammelten sich Menschen aus allen Ecken und Enden Russlands um sich nach Istanbul, Bukarest und Paris aufzumachen…

Die Tage in Odessa begannen. Die bekannten Gesichter drehten sich wieder im Kreis, die Münder faselten denselben Unsinn. Die Personen, die, wie wir dachten, nach Moskau zurückgekehrt sein sollten, fanden sich plötzlich in Odessa wieder. Die aber, die nach Odessa kommen sollten, waren längst in Moskau. Und keiner wusste Bescheid. Odessa wurde vom jungen grauäugigen Gouverneur Grišyn-Almazov[1] regiert, über den auch niemand Bescheid wusste. Wie es dazu gekommen ist, dass er Gouverneur wurde, verstand er selber nicht. Er war ein kleiner Napoleon, dessen „Schicksal größer war, als seine Persönlichkeit“.

Grišyn-Almazov, ein energischer, humorvoller, starker Mann, der seine Energie gern zur Schau stellte und sehr damit prahlte, war ein Freund von Literatur und Theater und ist sogar, wie man munkelte, früher selber ein Schauspieler gewesen.

Er besuchte mich und stellte mir freundlicherweise ein Zimmer im Hotel „London“ zur Verfügung. Schön war sie, die Nummer 16, und in allen Ecken stapelten sich Berge der Zeitung „Naše delo“[2]: früher wohnte Burcev hier[3].

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Odessa Wikimedia
Odessa

Grišyn-Almazov legte Wert auf pompöse Auftritte, und immer wenn er mich besuchen kam, wartete seine Gefolge im Korridor und vor der Tür standen zwei Wachmänner.
Er war ein netter Gesprächspartner und hatte seine Phrasen bei einer Figur aus „Leon Drej“ von Juškevič[4] geliehen.
— Heute ist es sehr kalt. Ich betone sehr.
— Ist es Ihnen bequem in Ihrem Zimmer? Ich betone Ihnen.
— Haben Sie etwas zum Lesen? Ich betone zum.

Er hat dem Hotelverwalter, dem bärtigen Oberst, der tagtäglich mit zwei putzigen weißen Spitzen spazieren ging, ans Herz gelegt, er möge sich um mich kümmern.
Mit einem Wort, er war außerordentlich zuvorkommend.
Aber er hatte es nicht leicht.

„Auspizien sind besorgniserregend“ – diese Redewendung war in Odessa in aller Munde und sie beschrieb die Lage gut.

Während sich die Bolschewiken der Stadt näherten, raubten die Banditen die Bevölkerung aus. Sie bewohnten verlassene Steinbrüche, die Katakomben unter der Stadt bildeten. Grišyn-Almazov musste sogar mit dem Anführer von Banditen verhandeln, mit dem berühmten Miška-Japaner[5]. Ich weiß nicht, ob die Verhandlungen erfolgreich waren, aber danach musste Grišyn-Almazov mit seinem Auto nur so durch die Stadt rasen, da ihm eine „Kugel in der nächsten Straßenecke“ versprochen wurde.

Trotzdem verließen die Stadtbewohner jeden Abend ihre wonnig beheizten Wohnungen. Sie gingen in die Clubs, ins Theater oder zu Freunden, um sie mit den furchteinflößenden Gerüchten zu unterhalten. Auf dem Nachhauseweg bildeten sie Gruppen und luden Wachmänner ein: etwa fünf kläglich bewaffnete Studenten. Die Ringe wurden im Mund versteckt, die Uhren im Schuh. Es half jedoch recht wenig.

Er, dieser Schurke, horcht, wo es tickt und sucht dort. Ich sage: „da pocht mein Herz vor Angst“. Als ob sie einem ehrlichen Mann glauben würden!

Die Banditen hielten Kutschen an, spannten die Pferde aus und nahmen sie in ihre Katakomben mit. Aber wen erschreckten schon diese Geschichten? Die Theater, Clubs und Restaurants waren voll. Man nannte die sündhaft hohen Spielverlustszahlen.
Morgens, berauscht von Wein, Spieleifer und Zigarrenrauch, verließen die Banker und Zuckermagnaten die Clubs, blinzelten mit entzündeten Augenlidern auf sie Sonne. Und lange schauten ihnen die verdächtigen Typen von Moldavanka[6], die neben den Häusern nach Speiseresten suchten und in den Nussschalen und Wursthäutchen herumwühlten, mit schwerem hungrigem Blick nach.


Galoppieren Eos Pferde
in den steilen Abhang…[7]


Erst vergingen die Tage in Odessa nur und plötzlich begannen sie wie um die Wette zu rennen.
Die Clubs, Theater und Kabaretts schossen aus dem Boden wie Pilze nur um gleich wieder geschlossen zu werden.

Unbekannte bejahrte Herschafften kamen und boten mir an, meinen Namen einem „Vorhaben“ zu geben, einem „reinen Kunstladen“. Mit warmen Speisen und Kartenspiel.
— Was habe ich denn dort verloren?
— Sie werden als Inhaberin gelten und bekommen jeden Monat ein Honorar.
— Aber ich habe weder Ahnung vom Kartenspiel noch von warmen Speisen. Sie müssen etwas verwechselt haben.

Sie dachten kurz nach und erhöhten die Honorarsumme. Mir war klar, dass wir uns gänzlich missverstanden.
Später hatten sie dafür, wie ich hörte, eine bekannte Sängerin gewonnen und beruhigten sich. Das heißt, sie schlossen, gaben Schmiergelder, eröffneten, schlossen, gaben Schmiergelder und so weiter.

— Übrigens, nimmt ihre Polizei Schmiergelder? – fragte ich Grišyn-Almazov.
— Ja. Was soll`s. Aber diese Mittel werden ausschließlich für Wohltätigkeitszwecke verwendet. Ich betone verwendet, - antwortete er energisch.

Der Alltag in Odessa machte uns, den Flüchtlingen, anfangs sehr viel Spaß.
„Das ist ein Witz und keine Stadt!“
Eine Schauspielerin rief an, schon zum wiederholten Mal. Sie brauchte meine Lieder. Sie wollte, dass ich bei ihr vorbei komme, denn sie hat einen Flügel zu Hause.
— Gut. Ich komme morgen bei ihnen vorbei, so, gegen fünf.
Ein Seufzer im Hörer:
— Können Sie vielleicht um sechs kommen? Wissen Sie, um fünf trinken wir immer Tee.
— Sind Sie sich sicher, dass Sie es bis um sechs schaffen?
Manchmal versammelten wir uns abends zum Vorlesen von Zeitungschroniken. Die Journalisten aus Odessa geizten nicht mit Farben und Feuer. Sie waren es, die die Kunstwerke erschufen, wie diese hier:

„Die Balletttänzerin tanzte glänzend, was man von den Dekorationen leider nicht behaupten kann“.
„Als das Stück von Ostrovskij „Das Gewitter“ lief, mit der Roščina-Insarova[8] in der Großrolle[9]…“
„Der Artist hat die Elegie von Ernst wunderbar aufgeführt und seine Geige schluchzte… Obwohl er keinen Smoking trug“.

„Der Dampfer ging zum Port“.
„Am Montagabend hat sich die Tochter des Kommersanten Raja Lipšič unter dem Fahrrad ihr Bein gebrochen“.
Aber bald langweilte uns der Alltag in Odessa zu Tode. Denn in einem Witz zu leben, ist auf Dauer nicht lustig, sondern tragisch.

Endlich ein Hoffnungsstrahl: unser lieber Redakteur Blagov[10] kam nach Odessa und rief die Mitarbeiter von „Russkoje slovo“[11] zusammen. Die Zeitschrift wird in Odessa erscheinen. Die Mitarbeiter versammelten sich in ausreichender Menge und die Arbeit ging flott vonstatten.

Zu Beginn des Frühlings kam der Poet Vološin[12] nach Odessa. Er war damals von einer „Gedichteraserei“ besessen. Man sah seine markante Figur überall: den zottigen quadratischen Bart, die wilde Lockenpracht mit der runden weißen Baskenmütze darauf, den flatternden Regenmantel, die kurze Hose und Strümpfe. Er las seine Gedichte in Behörden und bei den Machthabenden vor. Die Vorlesungen blieben nicht ohne Wirkung. Mithilfe seiner Gedichte öffnete er Türen und setzte sich für Mitmenschen ein. Manchmal betrat er ein Büro und deklamierte sehr lange, bevor man auf die Idee kam, die Vorgesetzten über seine Visite zu informieren. Die Gedichte waren stark, mächtig, über Russland, über den Usurpator; er holte weit in der Geschichte Russlands aus und ging in die prophetische Richtung. Die Mädchen wie„gleitende Reime“, standen um ihn, hörten zu, ächzten und vor Ehrfurt piepste es bei ihnen in der Nase. Danach krachten die Druckmaschinen – Maks Vološin diktierte seine Poeme. Ein Chef machte die Tür seines Büros auf, lauschte, und nahm Maks mit, weil er den Gegenstand der Rede interessant fand. Bald sickerte durch die abgeschlossene Tür ein tiefes rhythmisches Summen der Deklamation.

Eines Tages kam er mich besuchen. Er las mir zwei Poeme vor und sagte, dass man rasch die Dichterin Kuz´mina-Karavaeva[13] retten soll, die irgendwo wegen einer Verleumdung (ich schätze, in Feodossija) verhaftet wurde und erschossen werden könnte.

Sie sind doch mit Grišyn-Almazov befreundet. Bitten Sie ihn schnell um Hilfe.
Ich kannte Kuz´mina-Karavaeva ein bisschen und verstand die ganze Absurdität dieser Beschuldigung.
Und werde keine Zeit verlieren und gehe zum Metropoliten. Kuz´mina-Karavaeva hat an der Kirchenakademie studiert. Er setzt sich bestimmt für sie ein.

Ich rief Grišyn-Almazov an. Er fragte:
— Stehen Sie mit ihrem Kopf ein?
— Ja.
— Dann werde ich morgen einen entsprechenden Befehl erlassen. Sind Sie zufrieden?
— Nein. Es kann nicht warten. Das muss heute noch geregelt werden und zwar per Telegraph. Ich habe Angst, es könnte zu spät sein!
— Na gut. Ich schicke ein Telegramm ab. Ich betone abschicke.
Kuz´mina-Karavaeva kam frei.

Später begegnete ich auf vielen Etappen unserer Wanderung – in Novorossijsk, Ekaterinodar, Rostow-am-Don, der runden Baskenmütze auf der lockigen Haarpracht, dem Regenmantel und den Strümpfen und nahm Gedichte und das begeisterte Piepsen der vor Aufregung geröteten Näschen wahr. Und immer dröhnte er, um jemanden zu retten.

Mein alter Freund M. kam nach Odessa. Als Abgesandter von Kolčak[14] fuhr er aus Wladiwostok durch die Lager der Bolschewiken hindurch mit einem Bericht, der auf Lumpen geschrieben wurde (damit man ihn nicht ertasten konnte) und im Futter seines Soldatenmantels versteckt war.

Er besuchte unsere gemeinsamen Bekannten, die ihm mitteilten, dass ich in Odessa bin, und mich sofort anriefen. Das Wiedersehen war sehr freudig, aber auch komisch. Die ganze Familie versammelte sich in der Zimmerecke, um uns nicht zu stören.

Aus der halbgeöffneten Tür guckte die alte Kinderfrau, sehr gerührt. Alle waren leise und warteten feierlich: jetzt sehen sich die Freunde wieder, die sich gegenseitig für tot hielten. Mein Gott! Sie werden vielleicht sogar weinen… Die Zeiten heute sind doch so…

Ich trat ein:
— Michel, mein Lieber! Ich bin so froh!
— Wie ich mich freue! Ich habe so viel erlebt! Sehen Sie, wie viele graue Haare ich habe!
— Stimmt doch nicht! Kein einziges! Aber ich habe wirklich welche. Hier, an der linken Schläfe. Stellen Sie sich nicht so an, als ob Sie nicht sehen!
— Ich sehe gar nichts!
— Kommen Sie doch näher zum Licht. Was, denken Sie, ist das? Ist es etwa kein graues Haar?
— Keineswegs. Aber bei mir… Sehen Sie doch, hier, im Licht sieht man es gut.
— Also das ist ganz schön gemein!
— Und Sie müssen mir unbedingt widersprechen. Ich bin es nämlich, der graue Haare hat.
— Man erkennt gleich Ihren lieben Charakter wieder! Alles, was Sie haben, ist gut, und was der Andere hat, taugt nichts!

Die Gastgeber verließen ehrfürchtig das Zimmer.

Als die erste Freude des Wiedersehens vorbei war, erzählte mir M. viel Interessantes aus seinem Leben.

Er war ein Zivilist, ein Landgutbesitzer, der während des Krieges seinen Militärdienst begonnen hatte. Nach der Revolution kehrte er auf sein Landgut zurück und dort, in seiner Kleinstadt, die von Bolschewiken inzwischen befreit worden war, wurde er zum Diktator ernannt.

Sie hätten es mir sicher nicht geglaubt, deswegen habe ich die von mir unterzeichneten Erlässe, trotz Lebensgefahr, im Futter meines Mantels geschmuggelt.

Ich schaute rein. Alles stimmte.

Sie haben die Artillerie eingesetzt und feuerten nur so auf uns. Ich musste um mein Leben rennen, - erzählte er. Also reite ich durch ein Feld und sehe plötzlich im Roggen zwei Kornblümchen nah bei einander wachsen. Nirgendwo gibt es eines zu sehen und hier gleich zwei. Sie sehen wie Augen von einem Lebewesen aus. Wissen Sie, ich habe alles vergessen und hörte die Kanonen nicht mehr. Ich hielt an, stieg vom Pferd herunter und pflückte die Kornblumen. Alle um mich herum rennen, schreien, fallen. Und ich hatte keine Angst. Warum, was denken Sie, wieso hatte ich keine Angst? Bin ich etwa mutig?
Er dachte nach.

— Und, was war danach?
— Von da geriet ich an die Wolga. Es ist ja zum Tod lachen! Ich führte eine Flotte an! Es klappte gut, wir kämpften. Wissen Sie noch, eine Wahrsagerin sagte mir vor fünf Jahren, dass ich kurz vor meinem Tod in einer Flotte dienen werde. Und alle lachten mich noch aus: ein großer, dicker Mann wie ich soll eine Matrosenmütze mit Bändern tragen. Das ist doch Realität geworden. Jetzt fahre ich nach Paris, dann über Amerika nach Wladiwostok, zurück zu Kolčak. Ich stelle ihm seinen Admiralsdolch zu, den er ins Wasser geworfen hat. Die Matrosen haben ihn herausgefischt und schicken ihn zurück mit dem liebsten Gruß.

Er erzählte, dass er in Rostow Olenuška begegnete. Sie spielte in einem Theaterchen und war ein Herz und eine Seele mit ihrem Ehemann, der wie ein Gymnasiast in der Militäruniform aussah. Olenuška wurde zu einer überzeugten Vegetarierin, kochte für sich irgendwelche Äste und mauste Fleischstückchen vom Teller ihres Mannes.
— Sie, Olenuška, nehmen sich lieber direkt welche, - riet M.
Der kleine Ehemann wurde rot vor Schrecken:
— Nein, nein, sagen sie es nicht! Sie ärgert sich. Sie tut es doch aus Überzeugung.
M. bereitete sich auf einen langen Weg vor. Er hatte es eilig. Er musste schnell diverse Berichte aus Odessa an Kolčak zustellen und die Verbindung mit ihm herstellen. Er war der erste Abgesandte, dem es überhaupt gelungen war, durchzukommen.
Er war optimistisch, zweifelte weder an Kolčak noch an der „Weißen Mission“.
— Meine Aufgabe werde ich mit Freude und Selbstlosigkeit erfüllen. Ich bin mit mir im Reinen. Nur das Eine stört mich ein bisschen: der schwarze Opal am meinem Ring bekam einen Riss. Einen kreuzförmigen. Was, denken Sie, bedeutet das?
Ich habe meine Gedanken nicht preisgegeben. Aber das Omen täuschte nicht. Nach rund einem Monat war M tot…
Er wollte mich unbedingt aus Odessa retten. Überall erzählte man sich: „Die Auspizien sind besorgniserregend!“

Er fuhr mit einem Torpedoboot und versprach mir, mir die Ausreisegenehmigung zu besorgen. Das Wetter war schlecht, das Meer stürmisch und ich wollte nicht mitkommen.
Viele freundliche Stimmen beruhigten M. meinetwegen:
— Denken Sie, wir werden nicht für Nadežda Aleksandrovna sorgen, wenn Odessa evakuiert wird?
— Sie wird die erste sein, die den Dampfer besteigt – das schwöre ich Ihnen!
— Als ob jemand von uns wegfahren könnte, ohne zuerst an sie zu denken? Einfach lächerlich!
(In der Tat war es später lächerlich aber nicht wegen den vielen freundlichen Stimmen…)
Eines frühen Morgens wurde ich aufgeweckt. Es war ein kalter Morgen. Blaue Schatten lagen auf den blassen Wangen von M.
Wenn man so früh an einem blinden Wintertag aufgeweckt wird, bedeutet dies immer entweder Abschied, Tod, Unglück oder eine schreckliche Nachricht. Der ganze Körper zittert in jedem Bluttropfen in diesem matten Licht ohne Sonne.

Die blauen Schatten lagen auf den blassen Wangen von M.
— Leben Sie wohl. Ich muss los. Bekreuzigen Sie mich.
— Gott beschütze Sie.
— Dies Mal dauert`s vielleicht nicht lange. Wir sehen uns bald wieder.
Ich verspürte aber keine Hoffnung auf die einfachen, stillen Freuden in diesem wehmütigen Morgengrau, einem Gespenst der kommenden Tage. Und ich sagte leise:
— Gott beschütze Sie. Ob wir uns jemals wiedersehen – weiß ich nicht. Wir wissen ja gar nichts. Deswegen ist jeder unser Abschiede…für immer.
Wir sahen uns nie wieder.

Nach einem Jahr bekam ich vom russischen Konsul in Paris den Ring mit dem schwarzen Opal überreicht. Das war alles, was von meinem Freund übrig blieb. Als er bereits tot war, bestahl ihn ein Hochstapler, der in dem selbem Hotel wohnte. Er nahm alles mit: Kleidung, Wäsche, Koffer, Fingerringe, Zigarrenetui, Armuhren, sogar Fläschchen mit Parfüm, aber er wagte nicht, den schwarzen Opal anzurühren. Er spürte etwas in ihm.

Die Geschichte der Herkunft dieses Steines ist sehr interessant. Es gab eine Zeit, ungefähr am Anfang des Kriegs, als ich mich für Edelsteine begeisterte. Ich beschäftigte mich mit ihnen, sammelte die Legenden, die im Zusammenhang mit ihnen standen. Ein einäugiger alter Mann Namens Konoplöv besuchte mich und brachte mir Edelsteine mit: vom Ural, manchmal auch aus Indien. Das war ein gemütlicher Alter. Er faltete auf dem Tisch unter der Lampe ein Stück schwarzen Samt aus und fischte aus einer Box mit der langen dünnen Zange, die er „Korčy“[15] nannte, die blauen, grünen und roten Glitzern und legte sie auf den Samt, schaute sie sich an und erzählte. Manchmal wehrte sich ein Steinchen, glitt aus der Zange, zitterte, mit den erschrockenen Funken übersät, wie ein Küken.

— Sieh mal einer an! Ein Wilder! – brummte der alte Mann. Ein Rubinchen – Korund, das orange Lichtlein. Ein heißes.
— Und hier haben wir einen Saphir. Wie das Steinchen „blüht“! Das Pfauenauge. An einem Saphir ist nicht wichtig, ob er hell oder dunkel ist, sondern ob er lila wird, ob er „blüht“. Das alles muss man verstehen.

Stundenlang konnte man so herumsitzen, mit der Zange die kalten Funken wendend. Man erinnerte sich an die Legenden:
— Wenn man einer Schlange einen Smaragd zeigt, fließen Tränen aus ihrer Augen. Smaragd ist die Farbe des Paradieses in voller Blüte. Bitter ist es für die Schlange, wenn man sie an ihre Sünde erinnert.

— Ein Amethyst ist ein keuscher, frommer und weiser Stein, er reinigt durch die bloße Berührung. Unsere Vorfahren tranken Wein aus Amethystkelchen, um nicht betrunken zu werden. Unter den zwölf Edelsteinen des Hohenpriesters ist der Amethyst der allerwichtigste. Der Papst segnet die Kanoniker mit dem Amethyst.
— Der Rubin ist der Stein der Verliebten. Er ruft einen Rauschzustand hervor, ohne dass man ihn berühren muss.
— Der Alexandrit, unser wunderbarer Stein aus dem Ural, wurde während der Herrschaft des Zaren Aleksander II. entdeckt und prophetischer Weise nach ihm benannt worden ist. Er trug in seinem Leuchten das Schicksal des Zaren: die blühenden Tage und den blutigen Untergang.
— Und der Diamant, der reine Jaspis, ist das Symbol des Lebens von Christus.

Ich mochte Edelsteine. Und was für wunderbare „Missgeburten“ waren unter ihnen: ein blauer Amethyst, ein gelber Saphir, und noch ein Saphir, hellblauer mit einem sonnengelben Fleck. Laut Konoplöv hieß es „mit Schönheitsfehler“, meiner Meinung nach – „mit heißem Herzen“.
— Manchmal brachte er einen grauen Stein mit, in dem Smaragd-Jungen eingeschlossen waren. Sie waren wie Kinder ihrer Größe nach sortiert: klein und noch kleiner, matt und blind wie neugeborene Welpen. Man hat sie beleidigt, zu früh aus der Erde geholt. Sie sollten noch Tausende von Jahren in der Tiefe des heißen Harzes reifen.
— Einmal während meiner „Romanze“ mit den Steinen, brachte mir der Maler A. Jakovlev[16] ein paar Opale. Seltsam waren sie, schwarz. Ein anderer Maler brachte sie von Ceylon mit und bat Jakovlev, sie zu verkaufen.
— Opale bringen Unglück. Ich weiß nicht, ob ich sie nehmen kann. Ich frage Konoplöv.
Er sagte:
— Wenn Sie Zweifel haben, lassen Sie die Finger davon. Ich zeige Ihnen gleich Steine von solcher Schönheit! Ich bin bereit, sie Ihnen fast kostenlos abzugeben. Sehen Sie mal, eine ganze Halskette.
Er faltete einen Lappen aus Wildleder aus und breitete auf dem Samt zwölf riesengroße wunderschöne Opale einen nach dem anderen aus. Ein blasser Mondnebel. Und drinnen erglänzten und erloschen grüne und purpurrote Lichter, wie eine Ampel: „stehen“, „fahren“, „stehen“, „fahren“. Sie spielten, zogen einen an, verwirrten…
— Ich gebe sie fast umsonst ab, - wiederholte Konoplöv grinsend.

Man kann sich von diesem Mondspiel nicht losreißen. Man sieht einen leise vorbeirauschenden Nebel. Plötzlich geht ein Licht auf und ein anderes neben ihm entflammt sich, überflutet den ersten Funken und dann erlöschen sie beide.
— Umsonst. Aber ich muss Sie warnen. Ich habe die Edelsteine an Frau Martene verkauft, an die Frau des Professors. Sie haben ihr sehr gut gefallen, sie wollte die Steine unbedingt behalten. Am nächsten Morgen schickte sie einen Diener vorbei: ich solle doch die Steine zurücknehmen: der Ehemann, Professor Martene sei unerwartet verstorben. Also, entscheiden Sie sich, wie Sie wollen. Haben Sie keine Angst – nehmen Sie sie, ich werde nicht versuchen Sie zu überzeugen.
Ich verzichtete auf die konopljövschen Opale und entschied mich für einen der schwarzen von Ceylon. Ich sah ihn mir am Abend lange an. Er war wunderschön. Der Stein spielte mit zwei Strahlen: dem blauen und dem grünen und erzeugte eine so starke Flamme, dass sie schien als würde sie sich vom Stein trennen und in der Luft über ihn schweben.
— Ich kaufte den Opal. Den anderen erwarb M. für sich.

Und dann ging es los. Ich kann nicht behaupten, dass er mir ein bestimmtes Unglück brachte. Diese blassen, trüben Opale rufen Tod, Krankheiten, Wehmut und Trennung herbei. Dieser war anders. Er ergriff mein Leben, umhüllte es mit seinem schwarzen Feuer, und meine Seele fing an zu tanzen, wie eine Hexe am Scheiterhaufen. Es gab nur noch Pfeifen, Geheule, Funken, Feuersturm. Der ganze Alltag, die ganze Ordnung –alles ging im Flammen unter. Es fühlte sich seltsam, ärgerlich und zugleich fröhlich an.
Zwei Jahre lang war der Stein in meinem Besitz. Danach übergab ich ihn Jakovlev mit der Bitte, wenn möglich, ihn demjenigen zurückzugeben, der ihn von Ceylon mitbrachte. Ich dachte, er muss unbedingt denselben Weg zurückgehen, den er kam, wie Mephisto, und so schnell wie möglich. Wenn er einen anderen Weg nimmt, verirrt er sich und kommt wieder zu mir. Ich wollte aber nicht, dass er zurückkommt.

Den zweiten Stein behielt Jakovlev für sich. Ich habe keine Ahnung, ob es lange so blieb, aber auch ihn spülte die blaugrüne Welle vom Ufer weg und brachte ihn ins ferne, schielende Asien.

Der dritte stellte das Leben vom ruhigen und friedlichen M. auf den Kopf. Er lebte so gemütlich: ein weicher Sessel, ein Messer mit dem Elfenbeingriff zwischen den Buchsseiten des Lieblingsdichters[17], verwöhnte Hände mit Fingernägeln, die wie Edelsteine poliert waren. Klavier, ein Bildnis von Oskar Wilde im Schildpattrahmen, die mit zierlicher Schrift abgeschriebenen Gedichte von Kuz´min…

Und plötzlich ließen diese gepflegten Hände das Buch mit noch nicht durchtrennten Seiten fallen. Krieg, Revolution, eine dumme Heirat. Die Diktatorrolle in der heimischen Kleinstadt, in der er schreckliche Befehle unterschreiben musste. Der Partisanenkrieg an Wolga, Kolčak, der Weg durch das ganze Sibirien hindurch, der einem mehr abforderte, als ein Mensch leisten kann, Odessa, Paris und schließlich - der Tod. Ein tiefer Riss schnitt den Stein in Länge und in Breite kreuzförmig durch. Ende.

Neue Flüchtlinge trafen in Odessa ein: Moskauer, Petersburger, Kiever. Weil Künstler Ausreisegenehmigungen am einfachsten bekamen (wie talentreich letztendlich das russische Volk ist!), bewegten sich Hunderte und Tausende von Theatertruppen Richtung Süden.
— Wir haben uns den Weg nicht schlecht verschaffen, - erzählte mit einem glückseligen Lächeln ein bescheidener Frisör aus der Gorochovaja Straße (Erbsenstraße). Ich als Bonvivant, meine Frau als Jugendliche Naive, die Tante Fima als Grande Coquette[18], die Mama an der Kasse und elf Souffleure. Alle haben die Grenze problemlos passiert. Das Proletariat war natürlich über die Zahl der Souffleure etwas erstaunt. Aber wir haben erklärt, dass dies das Hauptelement der Kunst ist. Ohne Souffleur kann kein Theaterstück aufgeführt werden. Da aber ein Souffleur bewegungslos im Souffleurkasten sitzt, wird er schnell müde und muss umgehend durch einen anderen ersetzt werden.

Eine Operettentruppe kam nach Odessa. Sie bestand nur aus den „adligen Vätern“. Eine weitere Balletttruppe wurde ausschließlich aus Institutsleiterinnen und alten Kinderfrauen bebildet…
Alle frisch Hinzugekommene behaupteten, dass die Macht der Bolschewiken nicht mehr lange halten würde und es sich eigentlich nicht lohne, die Koffer auszupacken. Die Koffer wurden trotzdem ausgepackt…
— Die Stimmung in der Stadt war sehr lebhaft, fast optimistisch.
„Die Triple Entente! Die Entente!“
Alle schauten Richtung Meer und warteten auf die „Wimpels“.
Das Geld verschwand nach und nach. In den Geschäften bekam man als Restgeld Scheine, die dann nicht mal die Verkäufer, die sie ausgaben, wiedererkennen wollten. Alles wurde immer teurer. Einmal zeigte der Manager in einem Laden auf ein Stück Käse, das er mir gerade einpackte, und sagte mit tragischer Miene:
— Schauen Sie mal, er wird mit jeder Minute teurer!
— Dann packen Sie ihn doch schneller ein, - bat ich. – Vielleicht beruhigt er sich im Papier.

Plötzlich verschwand Grišyn-Almazov. Er fuhr inkognito weg, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Er eilte zu Kolčak. Bald wurde sein tragisches Ende bekannt. Am Kaspischem Meer wurde er von Bolschewiken überrascht. Als er das näher kommende Schiff mit der roten Fahne am Mast sah, schmiss der grauäugige Gouverneur von Odessa die Aktenkoffer ins Meer, beugte sich über das Wasser und schoss sich eine Kugel in die Stirn. Er starb wie ein Held.
„Wie ein Held, Grišyn-Almazov! Ich betone wie ein Held!

In Odessa schenkte man diesem Tod wenig Aufmerksamkeit. Nur der Hausverwalter vom Hotel „London“ nickte mir weniger freundlich und etwas unkonzentriert zu und sein flauschiger Hund hörte auf, mit dem Schwanz zu wedeln. Bald kam er sehr besorgt zu mir, entschuldigte sich und sagte, er stelle mir ein Zimmer im Hotel „International“ zur Verfügung, weil das ganze „London“ zum Hauptquartier umfunktioniert würde.

Es war schade, das Zimmer Nummer 16 zu verlassen, das ich inzwischen liebgewonnen hatte, wo jeden Morgen um sechs die Heizung lauwarm war und sich manchmal im Kaminspiegel die lieben Gesichter widerspiegelten: das hagere, rassige von Ivan Bunin, das Profil der blassen Kamee - seiner Frau, des Uškujniks[19] Alexej Tolstoj und seiner „lyrischen“ Frau Natalia Krandievskaja und Sergejs Gornyjs und Lolos und Nilus` und Pankratovs…

Was soll´s, es war einfach noch eine Etappe. Wie viele waren es schon? Wie viele kommen noch?..


Weiterlesen - Teil 2



  [1]  Grišyn-Almazov, Aleksej (1880-1918), Oberstleutnant, Kriegsminister der sibirischen Regierung (www.deutschesfachbuch.de, angesehen am 04.09.09)

  [2]  „Unsere Sache“.

  [3]  Burcev, Vladimir (1862-1942) russischer Publizist und Verleger, Monarchist, starb in Paris.

  [4]  Juškevič, Semön (1868-1927), Schriftsteller, Autor von satirischen Texten über den Alltag der Juden

  [5]  Vinickij, Moisej Volfovič (1881-1919), der bekannte Straßenräuber aus Odessa. Den Spitznamen bekam er für die markante Augenform.

  [6]  Ein Stadtteil von Odessa, im 19 Jh. ein Arbeiterviertel, bekannt vor allem aus Erzählungen von I. Babel

  [7]  Aus „Hero und Leandr“ von Schiller in russ. Übersetzung

  [8]  (geb. Pašennaja) Ekaterina (1883-1970) russische Schauspielerin, aus einer Theater-Dynastie, reiste nach Paris aus

  [9]  Im Original: eine Mischform aus der „Hauptrolle“ und „Großbuchstabe“

[10]  Blagov, Födor, 1866, Arzt, Redakteur von „Russkoje slovo“ („Das russische Wort“)

[11]  „Das russische Wort“

[12]  Vološin, Maksimilian (1877-1932), Dichter

[13]  Pilenko, Elizavetta, geb. 1891; als None: Mutter Maria, Dichterin, reiste 1919 nach Paris aus, nahm in Frankreich am Kampf gegen Nazis teil, starb 1945 im KZ Ravensbrück

[14]  Kolčak, Aleksandr (1873-1920), Admiral, Oberhaupt der Weißen, erst unterstützt, später verraten von Entente, getötet von Bolschewiken.

[15]  Hist. Eine Art russ. Schöpfkelle

[16]  Jakovlev, A. E. (1887–1938), rus. Maler und Graphiker; Vertreter der Neoklassischen Richtung in Moderne, 1918: Ausreise nach Paris, starb 1938

[17]  Damals wurden Bücher produziert, deren Seiten man mit einem Messer von einander trennen musste

[18]  Rollentypus, veraltet: eine schöne, reizende, lebenslustige Frau

[19]  Hist. Seeräuber in Russland XIV-XV Jh.




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