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Irina Odoevceva: im Andenken an Juri Terapiano

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Äîáàâëåíî: 2013-08-23 11:30:00
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Aus dem Buch von Irina Odoevceva,
Na beregach Seny, ISBN 5-352-01857-1
Azbuka Klassika, 2006.
Übersetzung: Olga Koseniuk


Es ist schon drei Monate her, als ich für immer, was ich aber noch nicht ahne, S.-Petersburg verlassen habe. Den ersten Monat verbrachte ich in Riga, der Stadt, die mein Vater sich zum festen Wohnsitz gemacht hatte. Danach bin ich nach Berlin gereist.

- Ob es mir hier gefällt, im Ausland? Nein, überhaupt nicht. Hier ist alles nicht wie es sein soll. Nicht davon habe ich in S.-Petersburg geträumt, nicht so habe ich mir mein Leben im Ausland vorgestellt.

- Oft habe ich den Wunsch, zurückzukehren, aber ich wage ihn nicht einmal auszusprechen – mein Vater würde eine Krise kriegen, wenn er hören würde, dass ich nach S.-Petersburg zurück will.

Pic
Juri Terapiano

Ich kann niemandem anvertrauen, dass ich enttäuscht bin. Die meisten Flüchtlinge aus Russland sind vom Berliner Leben begeistert und genießen es. Man stelle sich nur vor: Geschäfte, wo man alles kaufen kann, Restaurants, Cafés, Taxis. Was kann man sich da noch wünschen?

Von Gedichten scheinen alle hier vergessen zu haben. Es fällt einem schwer zu glauben, dass die selben Menschen noch vor Kurzem die unbeleuchteten Straßen entlanggingen, müde, hungrig und frierend, beim Frost und Regen, oft durch das ganze S.-Petersburg durch, nur um im Haus der Künste oder im Haus der Literaten Gedichte zu hören.

- In Berlin wohne ich allein, als eine „Strohwitwe“. Grigori Ivanov reiste vor einer Woche nach Paris, um seine kleine Tochter Lenočka zu besuchen, und, natürlich, seine erste Frau. Er reiste mit meiner Erlaubnis und sogar meinem Segen: ich bin, Gott sei Dank, nicht eifersüchtig.

- Für die Zeit seiner Abwesenheit habe ich es mir gemütlich gemacht: ich habe ein Schlaf- und ein Empfangszimmer in einer deutschen Pension, und mich, die „Strohwitwe“, besuchen ständig Freunde und Bekannte, die er gebeten hat, um mich zu sorgen.
- Morgens, wie es sich gehört, gehe ich einkaufen, dann esse in Restaurants „Der Bär“ und „Der Förster“ zu Mittag. Meine Abende verbringe ich in diversen Cafés und Sammellokalen der Flüchtlinge.
- Also, wie nach Ozup:


Ich verbringe meine Zeit sinnvoll,
Ich studiere einen modernen Tanz ein,
Ich gehe ins Kino,
Das gehört sich doch auch.


Die modernen Tänze lernen wir alle in Berlin fleißig zu tanzen. Für sie begeistert sich auch der grauhaarige Andrej Bely, der sie, wie damals in Nizza, mit Philosophie verbindet. Für ihn ist ein Tag ohne Tanz – ein verlorener Tag. Stundenlang beschäftigt er sich in einer „Tanzakademie“ mit einem hingerissenen Gesichtsausdruck einer besonderen „Knochengymnastik“ und tanzt wie ein Faun, umgeben von Nymphen.

- Das ist eine ziemlich schockierende Schau, besonders wenn die Tanzereien in einer Berliner „Diele“ stattfinden, wo getanzt wird. Dort lässt Andrej Bely seine Tanzpartnerin plötzlich allein stehen, nachdem er mit ihr ein paar Foxtrott-Schritte gemacht hatte, und fängt an, „immer weiter ausholend und in Kreisen, in Kreisen“, um sie herum rhythmisch hüpfen, schlängelnd, wie während einer Faunischer Orgien, und schneidet zugleich Grimassen. Die Arme wünscht sich bestimmt während dessen weit weg zu sein und wagt es nicht, sich zu bewegen.

- Die gutgesinnten Deutschen schütteln nur mit dem Kopf, dem „verrückten Herrn Professor“ zusehend, trinken ihr Bier und sogar applaudieren ihm.

- Heute ist ein ganz besonderer Tag. Heute ist mein erster Ball. Der erste echte Ball, zu dem ich hinfahre. Denn in S.-Petersburg ging ich immer zum Ball zu Fuß, in Filzstiefeln, bis ins Knie im Schnee versinkend, ein Säckchen mit meinen Sommerschuhen in der Hand. Eigentlich hatte ich auch damals keine Ballschuhe und kein eigenes Ballkleid. Ich musste mit den Ballkleidern meiner verstorbenen Mutter zufrieden sein, die zwar in Paris genäht und von mir eilig und unbeholfen abgeändert wurden. Und hier fahre ich zum ersten Mal zum Ball, ich habe ein extra angefertigtes weißes Kleid aus Seide an, mit großem Ausschnitt, einem sehr breiten Rock und der festgeschnürten Taille. Ich habe eine Ballfrisur mit Schleife aus Tüll und Brokatballschuhe. Leider, fahre ich nicht mit der Kutsche, sondern mit Taxi. Nikolaj Ozup und mein Bekannte aus Peterburg, Boris Baškirov, ein „Halbpoet“, so nennen wir Leute, die „Gedichte ohne rechtfertigende Gründe“ schreiben, holen mich ab.

- Ich bin, wie es sich gehört, ein wenig aufgeregt, habe eine Feststimmung, denn der erste Ball ist ein sehr wichtiges Ereignis im meinem jungen Leben ist. Und obwohl ich schon seit zwei Jahren die Ehefrau von Georgi Ivanov bin, fühle ich mich fast wie eine Debütantin.

- Endlich bin ich am Ball. Plötzlich verspure ich Enttäuschung. Nein, es ist schon wieder nicht das, was es sein soll. Unsere Bälle in S.-Petersburg waren ganz anders: etwas großmächtige war da, eine tragische Größe und Pracht.

- In den riesigen Kronsaalen der schwarzmarmornen Villa von Graf Zubov auf dem Issakienplatz, nicht beheizten und kärglich belichteten, haben wir uns, mit den Zähnen vor Kälte klappernd, prächtig amüsiert, getanzt und gelacht bis sich im Kopf alles drehte. Ich weiß noch, wie an einem solchen Ball, im Winter 1920, fragte jemand alle Anwesenden aus, wo man hier Wein bekommen kann. Auf die Antwort, dass es hier je keinen Wein gab erwiderte er mit Stanen und zeigte auf mich:

- Was hat denn die Frau zu sich genommen? Ohne Wein kann man nicht so gut gelaunt sein!
- Hier war alles klein und langweilig. Auf allem lag ein Belag der Kleinbürgerlichkeit, der Mittelmäßigkeit. Alles war sehr ordentlich und anständig und musste eigentlich gefallen: das Orchester und die leuchtenden Lüster, die sich wie im Spiegel im gewachten Parkett widerspiegelten und Blumensträuche in Kübeln und das Büfett in der Tiefe des Saals mit vielen Flaschen, Torten, Kuchen und Sandwichs. Aber mir gefällt es nicht, ganz und gar nicht. Nachdem ich mich umgesehen habe, beginne ich schon die mir wenig bekannte Langeweile zu empfinden.

- Obwohl der Ball meine Erwartungen nicht erfüllt hatte, verflog das Gefühl der Enttäuschung und der Langeweile, als ich mit dem Tanzen begann. Ich fing an mich zu amüsieren. Es war nicht so, wie in S.-Petersburg, aber trotzdem lustig. Ich finde sogar, dass es amüsant war. Natürlich schlechter, als in S.-Petersburg, aber gut, auf eine eigene, auf die Berliner Art gut.

- Ich habe einfach Heimweh, das erklärt alles. Davon kommt die ganze Unzufriedenheit.
- Hier gibt es viele bekannte Petersburger, Schriftsteller und Dichter, die ich noch nicht persönlich kenne. Ozup, der früher als ich nach Deutschland kam, stellt mich allen vor, A. Tolstoj, Minsky, Erenburg.
- In einer Pause zwischen zwei Tanzen kommt Baškirov.
- Hier ist Igor Severjanin. Möchten Sie ihn kennen lernen?
- Igor Severjanin? Ich will. Ich will sehr! Zeigen Sie mir, wo er ist. Ich habe ihn noch nie gesehen. Nicht mal auf einem Bild. Wo ist er?
- Dort, am dritten Tisch, - zeigt Baškirov, - mit seiner Prinzessin - Ehefrau, wie er sie nennt, obwohl sie einer Prinzessin nicht gleicht. Sehen Sie?

Am dritten Tisch sitz wahrlich eine bescheidene junge Frau, die nicht wie eine Prinzessin aussieht, in einem dunklen Kleid mit langen Ärmeln und einer einfachen alltäglichen Frisur, ohne Puder. Ihre Nase glänzt verräterisch. Neben ihr sitzt ein großer Brünett im altmodischen langem Gehrock. Sein großes unbewegliches Gesicht scheint wie aus dem Holz geschlitzt. Er hat eine gerade arrogante Körperhaltung. Er ist so prüde und steif wie sein allzu großer Kragen, der sein Kinn stützt. So was trägt man nicht nur in Berlin, in S.-Petersburg nicht mehr.

- Er schweigt mit einem konzertiert-unruhigen Gesichtsausdruck eines Reisenden, der am Bahnhof auf Anschluss wartet und fühlt sich sichtlich fehl am Platz. Keiner achtet auf ihn. Als ob Keiner wusste, wer er ist.
- Ist es wirklich Igor Severjanin? Derselbe „Genie – Igor Severjanin“, der von sich stolz behauptete:


Ich bezwang die Literatur,
donnernd, wie ein Adler
Bestieg ich den Thron


Nein, ich habe mich den „Veilchenprinzen“ ganz anders vorgestellt.
- Ich gehe, sage ihm Bescheid. Warten Sie. Ich bringe ihn gleich.
Baškirov geht, um Severjanin zu holen und ich bleibe neben der Wand und warte.
Ich sehe, wie Baškirov mit Severjanin spricht und er schüttelt den Kopf, ohne sich vom Platz zu rühren.
Baškirov kommt zurück, verlegen und bestürzt.
- Stellen Sie sich vor, er meinte, er sei gewohnt, dass die Damen zu ihm kommen, um ihn kennen zu lernen, den Damen hinterherlaufen will er nicht. Auf keinen Fall!

- Was für ein Wichtigtuer! Na und! Ich kann auch ohne den Genie Igor Severjanin gut leben.
Ich würdige ihn mit keinem einzigen Blick und gehe tanzen. An Severjanin verlor ich keinen Gedanken bis zum Ballende mehr und war gerade dabei, mein Heimweg einzuschreiten, als er plötzlich in Begleitung von Baškirov vor mir stand. Ich will vorbei, er stellt sich mir im Weg. Baškirov stellt ihn mir feierlich vor. Severjanin verbeugt sich, ich reiche ihm die Hand. Er küsst sie so, als ob es ein besonderes Zeichen des Wohlwollens seinerseits wäre. In seinen Vorstellungen sollte vielleicht er einer Frau die Hand zum Küssen reichen.

- Sie wollen schon weg? Ich hätte Sie gerne gesprochen. Könnten Sie noch einen Moment bleiben und uns am unserem Tisch Gesellschaft leisten? Er fügte hinzu: - Ich bitte Sie sehr.
- Nein, danke! – sage ich. – Es ist Zeit für mich, nach Hause zu gehen. Ich bin müde.
Meine Absage verwundert ihn sichtlich, auf seinem Gesicht liegt ein Schatten der Unzufriedenheit.
- Sie wollen nicht? Und ich wollte Sie sprechen, Sie richtig kennen lernen. Und mit einer beleidigten Miene: - Aber was soll`s, das ist nicht meine Art, mich bei Frauen so aufzudrängen. Fahren Sie mit Gott!
- Nein, nein, - mischt sich Baškirov ein. Das kann man so nicht lassen. Wir müssen ein Treffen organisieren, - er sieht mich bittend an, - bei Ihnen. Morgen oder Übermorgen? Das wird fabelhaft!
- Gegen dieses Projekt habe ich nichts einzuwenden, - antwortet Severjanin hochmutig.
- Wundervoll – freut sich Baškirov.
Mir bleibt nichts anderes üblich, als zuzustimmen.
- Wenn Sie Zeit haben, Igor Wasilèvič, kommen Sie zu mir übermorgen, am Dienstag, auf eine Tasse Tee, mit ihrer Frau.
Sein Gesicht leuchtet auf – meine Einladung und die Tatsache, dass ich seinen Vor- und Vatersnamen kenne, ist ihm sichtlich angenehm.
-Das ist mir eine Ehre…
Majestätisch küsst er meine Hand wieder.
- Ich hole Sie ab – verspricht ihm Baškirov und bringe Sie hin, warten Sie auf mich!



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