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Emma Gerstein. Nadeschda Mandelstam

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Äîáàâëåíî: 2013-08-23 02:30:00
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„Ich fasse diese Fotografie unwillkürlich als Hinweis auf die von den Mandelstams proklamierte Art des Familienlebens auf. Die „Dreiecksbeziehung“ war in den 20´er Jahren ausgehend von ihren Wurzeln in den 90´er Jahren weit verbreitet und in den 30´er Jahren bereits wieder im Abklingen.

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M.Petrowich, E.Mandelstam, N.Mandelstam, O.Mandelstam, A.Achmatowa

Trotzdem blieb sie das Ideal der Mandelstams, besonders das von Nadeschda Mandelstam. Sie propagierte diese Beziehungsform und berief sich dabei auf das Urteil ihres Mannes. Zum Beispiel war sie der Meinung, dass die Ehe zu dritt eine Festung sei, die durch keine äußeren Feinde einzunehmen sei. Von Ossip Mandelstam selbst habe ich solche Worte nie gehört, was aber auch nicht notwendig war, da es so viele lebendige Beispiele für dieses Beziehungsmodell in unserem Umfeld gab. Mereschkowskij, Zinaida Gippius und Filosofow war eins davon. Ebenso wusste man von der Verbindung zwischen Ossip und Lilja Briki und Majakowskij.

Marusja vertraute Anna Achmatowa ihr lang gehütetes Geheimnis an, indem sie ihr von ihrer Liebe zu dem Schauspieler des Zweiten Kunst Theaters erzählte. Ihm hat sie das erst nach ihrem Tod veröffentlichte Gedicht „Der kupferne Zuschauer“ gewidmet. Die offensichtliche Analogie mit «dem Kupfernen Reiter» erklärt sich mit der berühmtesten Rolle Wladimir Wassiljewitsch Gotowzews, der nämlich Peter den Großen im Stück Alexej Tolstois spielte. Gotowzew war damals schon fast 50 Jahre, was Marusja aber nicht davon abhielt ihn zu lieben. Gleichzeitig blieb sie Ossip Mandelstam gegenüber jedoch gleichgültig und verwies auf den großen Altersunterschied. Wie wir wissen war er ihr auch als Dicher fremd. Ich glaube das allerdings nicht ganz, da ich selbst dabei war, als Ossip Mandelstam hinter der Wand mit klingender Stimme seine begeisterten Reden vortrug, Marusja mit geröteten Wangen und ekstatischem Blick aus seinem Zimmer gelaufen kam und Nadja, mir und irgendjemand Drittem, der mit uns im Durchgangszimmer zu Abend gegessen hat, ein nachlässiges „Auf Wiedersehen!“ zuwarf.

Wir wissen durch „Ein Gedicht ohne Held“, dass Anna Achmatowa nach der Scheidung von Schiljeko sich zusammen mit Olga Afanasewna Sudejkina und Arthur Lourie eine Wohnung teilte. Ihr gemeinsames Leben ist sehr anschaulich in den Erinnerungen von Jurij Annenkow beschrieben. Aus meinen letzten Unterhaltungen mit Nina Antonowa Ardowa weiß ich, dass Anna Achmatowa ihr anvertraute: „Wir können nicht herausfinden, in wen von uns beiden er nun verliebt ist.“

Anfang der 20´er Jahre sind Arthur Lourie und kurz nach ihm Olga Sudejkina für immer in den Westen ausgereist. Achmatowa blieb, wie wir wissen, in Russland.

Die Beziehung zwischen diesen drei Menschen hat Lidia Jakowlewna Ginzburg sehr gut in ihren erst in den 1980´er Jahren veröffentlichten Notizen beschrieben. Die dort verarbeiteten Informationen stammen von Grigorij Alexandrowitsch Gukowskij, dessen früh verstorbene erste Ehefrau Natalja Viktorowna Rykowa eine nahe Freundin Anna Achmatowas war. Lidia Ginzburg schrieb: „Gukowskij meinte, dass er die Gedichte über Jakob und Rahel bei Anna Achmatowa für ausgesprochen autobiografisch und emotional hält. Diese frei fabulierenden Gedichte über biblische Themen sind bei weitem intimer als beispielsweise „Der grauäugige König“ und anderer ihrer Werke. Grund dafür sei, dass diese Gedichte in Verbindung zur Person Arthur Louries stehen.“ So wissen wir als Leser, dass die beiden Freundinnen Anna Achmatowa und Olga Sudejkina gleichzeitig durch Freundschaft und Rivalität verbunden waren.

Nadja wollte allerdings, in dieser Freundschaft eine engere Beziehung sehen. Zu dieser Zeit wusste ich noch nichts über ihre Dreiecksbeziehung und war darum erschüttert, als sie sich über Anna Achmatowa folgendermaßen äußerte: „Sie ist so eine Närrin! Sie weiß nicht, wie man zu dritt lebt“.

Sie hatte das unüberwindliche Bedürfnis, dieses Thema besonders ausführlich darzulegen und begann mir, das Schema zu erklären, dem eine solche Beziehung ihrer Meinung nach zu folgen hätte. Die Art und Weise wie sie dabei sprach, hatte etwas Unverschämtes und noch darüber hinaus Unangenehmes ansich. Es lässt sich schwer wiedergeben, worin das Geheimnis dieser zu direkten Ausdrucksweise lag. Vielleicht lag es einfach am Ton ihrer Stimme, neben dem jede Form von Vulgärsprache regelrecht unschuldig wirkten musste. Ihre Beziehungsvorstellung bestand aus einer streng festgelegten Abfolge von Exhibitionismus und Voyeurismus.

Nadja war bisexuell. Diese Orientierung formte sich schon recht früh bei ihr, etwa im Alter von 15 – 16 Jahren. Es war die Zeit vor der Revolution, während des ersten Weltkrieges, als die Zeiten schon unruhig waren. Sie war das Nesthäkchen in der Familie und hatte über ihre älteren Geschwister Kontakt zur Bohème.

Als ich sie kennenlernte hatte sie sich noch immer viele Launen und exzentrische Streiche aus ihrer Jugend bewahrt. Zum Beispiel konnte sie von einem Moment zum anderen plötzlich hockend durch die Gänge des nüchternen Sanatoriums laufen. Oder sie hat es sich irgendwo in einem Sessel gemütlich gemacht und formte mit sanftem Lächeln in aller Ruhe unanständige Figuren aus Plastiline. Oder aber sie sprang in ihren Zimmer über die Sessel wie ein schamloser kleiner Affe. Sie waren beide gern ausgelassen in meiner Gegenwart.

Begriffsstutzig wie ich war habe ich nicht verstanden, was sie von mir wollten. Dabei hätte ich es während meiner Spaziergänge mit Ossip Mandelstam im Park durchschauen können. Grob habe ich diese Gespräche schon in meinen früheren Erinnerungen beschrieben. Allerdings bin ich damals vielen seiner Andeutungen nicht weiter nachgegangen, weil ich zu sehr mit eigenen Emotionen und Eindrücken beschäftigt war. So habe ich beispielsweise dem, dass Nadja mich jedes Mal einem regelrechten Verhör über meine Gespräche mit Ossip unterzog nicht die richtige Bedeutung geschenkt. Meine Antworten hat sie immer mit gespannter Aufmerksamkeit abgewartet. In meiner Dummheit habe ich Ossips Worte viel zu detailiert wiedergegeben, unter anderem seine Erinnerung an zwei Schwestern und Schauspielerinnen, mit denen er auf lustvolle Weise seine Zeit verbracht hatte. Nadja ist daraufhin explodiert und rief nervös aus: „Das hat er alles erlogen. Vor mir wusste er nichts davon. Ich habe ihm das beigebracht.“

Ihre Verbindung mit Ossip Mandelstam nannte Nadja einen „physiologischen Erfolg“. In jener Zeit waren all ihre Gedanken und Streiche von erotischen Anspielungen durchdrungen. Wie ich selbst dazu stand? Der moralische und ästhetische Aspekt solcher Themen hat mich nie bekümmert. Wir lebten in der Zeit der sexuellen Revolution, waren frei denkend, jung, voll natürlicher und gesunder Sinnlichkeit, aber auch schon in der Art wirklicher Snobs durch nichts mehr in Erstaunen zu versetzen. Kriterium für ein gesundes und erfülltes Sexualleben war für uns allein der individuelle Geschmack. Mochte jeder tun, was ihm gefällt.

Heute verstehe ich, dass damals in meinem Kopf eine ganz seltsame Mischung aus künstlicher Theorie und meinem völlig gegensätzlichen Verhalten gährte. Ossip Mandelstam begriff das, indem er einmal zu mir meinte: „Woher kommt bei Ihnen nur diese Mischung aus Keuschheit und Schamlosigkeit?“

Nadja war fest davon überzeugt, dass nur auf dem Boden einer völligen sexuellen Freizügigkeit die Basis einer wahren Liebe zu finden ist. Sie sprach oft von ihrem Wunsch, ein Buch über die Liebe des modernen, d.h. sowjetischen, Menschen zu schreiben. Aber auch ohne diese hochtrabenden Worte hatte ich mit Ossip und Nadja Mandelstam das lebendige Beispiel einer solchen Liebe vor Augen.

Der Blick auf die Ideologie bestimmte durchweg Nadjas gesamtes Handeln und Denken. Sie gestand selbst, dass sie um sich herum weder eine Atmosphäre der Freundschaft noch der Liebe geschaffen hatte, sondern eher die Strukturen einer Sekte mit ihren speziellen Riten und einer besonderen Ethik...

Mir schien es so, als ob das gesteigerte Interesse an der „Geschlechterfrage“, wie man es damals nannte, teilweise eher eine Verdrängung Nadjas fieberaften Interesses an der Politik war. Damit meine ich innenpolitische, sowjetische Fragen, nicht die Themen der Aussenpolitik. Gut in Erinnerung sind mir noch die Anspielungen in Mandelstams Gedichten auf die Schrecken der Zwangskollektivierung, deren Zeuge sie selbst auf der Krim im Sommer 1933 geworden waren. Ebensowenig kann ich vergessen, in welch fieberhaften Zustand Nadja zu mir ins Zimmer gelaufen kam und aufgebracht über das „Rebellische“ des Gedichtes „Wir leben, ohne das Land unter uns zu spüren...“ sprach.

Eine nicht unbeachtliche Rolle für die politische Stimmung der Mandelstams spielte die Freundschaft mit Boris Sergejewitsch Kuzmin. Schon als sie sich das erste Mal 1930 in Armenien trafen, integrierten ihn die Mandelstams in ihre Familie, genauer gesagt, in ihren streng abgetrennten Kreis. Es soll hier nicht weiter ausgeführt werden, dass Kuzin den Marxismus als Wissenschaftler ablehnte, indem er die ökonomische Unsinnigkeit unseres „sozialistischen“ Systems als vernünftig denkender Mensch erkannte und es insgesamt als Patriot verabscheute.

Kuzin war einer der ersten, der den Mandelstams gegenüber die Staatliche Politische Verwaltung zum realen Thema machte. Auf Nadja machte seine Härte und entschiedene Ablehnung der staatlichen Macht einen unvergesslichen Eindruck. Besonders eine Begebenheit hat sich ihr tief eingeprägt. Ein Untersuchungsführer in Zivil verabredete sich mit Kuzin und wollte ihn bei der Gelegenheit verhaften. Dabei spielte er sadistisch mit Kuzmins besonderer Zuneigung zu seiner Mutter. „Sind Sie sich darüber im Klaren, was mit Ihrer Mutter geschieht, wenn Sie jetzt verhaftet werden?“ Daraufhin antwortete Kuzmin unerschrocken und ruhig „Sie wird sterben.“ „Sie sind ein grausamer Mensch!“ warf ihm sein Untersuchungsführer vor.

Kuzmin selbst hatte Nadja diese Episode erzählt, woraufhin sie sich das Ideal einer Römerin ersonnen hatte, die bereit ist, einen gemeinsamen Tod mit ihrem Mann zu sterben. Noch befand sie sich aber erst auf der Kippe zwischen der Exaltiertheit in Liebesdingen und der Überspanntheit in politischen Fragen. Kuzmin war für sie nicht nur mit seiner politischen Meinung interessant, sondern auch in emotionaler Hinsicht.“

Die Erinnerungen von Emma Gerstein waren neben anderen wichtigen Quellen die Grundlage für das Buch „Das Stalin-Epigramm“, eines der besten Werke über Ossip Mandelstein. Autor ist der amerikanische Schriftsteller Robert Littell, ein Nachkomme russischer Emigranten.

Veröffentlicht im Journal: „Znamja“1998, Nr. 2. Ìåmuary. Àrchivy. Svidetelstva. magazines.russ.ru

Übersetzung Dorothea Merz





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