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Viktor Kalinke und Leipziger Literaturverlag

Ëèòåðàòóðíîå êàôå: http://litkafe.de
Àâòîð: Svetlana Voljskaia
Äîáàâëåíî: 2013-09-16 23:05:20
[Âåðñèÿ äëÿ ïå÷àòè]

Wird in Sachsen russische Literatur herausgegeben? Die Frage interessiert nicht nur russischsprachige Schriftsteller, sondern auch die Leser aus Ostdeutschland. Beim Überfliegen des Programmheftes im Vorfeld der Buchmesse „Gut zum Druck“ am 12. und 13 November (Leipziger Haus des Buches), rücken nur zwei Verlage ins Blickfeld, die zumindest daran interessiert sein könnten, russische Literatur zu verlegen. Erstens der Verlag der Dresdner TU (Thelem) gibt traditionell, wenn auch in geringer Auflage und vor allem zu Lehrzwecken, Werke der russischen Klassik heraus. Zweitens fällt der Leipziger Literaturverlag auf, dessen Miteigentümer (und zugleich Übersetzer, Autor und Regisseur des Fernsehfilms „Dichtersehen“ über den Prozess des Gedichteschreibens) einen typisch russischen Familiennamen (auf jeden Fall aber einen Familiennamen slawischen Ursprungs) trägt: Viktor Kalinke.

Die Präsentation von Thelem bestätigte unsere Erwartungen. Am Stand des Dresdner Verlags fanden sich Einzelexemplare zweisprachiger Gedichtbände (deutsch-russisch) von Lesja Ukrainka und Fjodor Tjutschew. Sie sind für einen kleinen Kreis von Fachexperten erstellt worden: Niemand rechnet damit, dass die Leser diese Bücher erwerben. Schon Nekrasow hoffte einst vergeblich: „Belinski und Gogol werden vom Markt mitgebracht...“

Was den zweiten uns interessierenden Verlag betrifft, ging es nicht ohne Kuriosum ab. Wir hofften natürlich auf ein persönliches Treffen mit Viktor und informierten uns deshalb zuvor ausführlich über ihn im Internet. Wir erfuhren recht wenig. Elena Winter, beispielsweise teilte mit, dass am 25. Februar 2005 „umgeben von 12.000 deutschen Buchraritäten“ das Erscheinen der vierten Nummer von „Deti Ra“ gefeiert worden sei. Das Journalheft „widme sich dem Werk in Deutschland lebender russischsprachiger Poeten.“ Zu den „interessantesten Autoren der hiesigen Literaturlandschaft“ zählten demnach Alexander Smogul, Anri Wolochonskij...Viktor Kalinke, Walter Thümler... (Æóðíàëüíûé çàë: Áèáëèîòåêà æóðíàëà Äåòè Ðà).

Tatjana Graus versuchte sich in ihrem Vorwort zum Buch „Diapason. Antologija sowremmenoj nemezkoj i russkoj poesii“ an einer Beschreibung der Arbeiten Kalinkes. „Sein poetischer Stil ist expressiv, die Lexik kompliziert und scharfsinnig. Er verarbeitet aus unerwarteter Perspektive existentielle Fragen des Seins, ohne Herabsetzung des Menschen, sondern ihn über die Alltagswelt erhebend.“ (Òîïîñ, 07.07.05).

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Viktor Kalinke. Foto: Svetlana Voljskaia
Viktor Kalinke

Später stellte sich heraus, dass der Poet (und Schriftsteller) Viktor Kalinke überhaupt kein Russe ist, sondern ein Deutscher und zudem Übersetzer aus dem Russischen und aus dem Litauischen.

Aber die im Internet gefundenen Informationen machten uns Hoffnung, dass sich unser Herausgeber für die russische Literatur interessiert, in einem russischen Journal veröffentlicht und sich ab und an in Russland aufhält. Außerdem ist bekannt, dass er ein Buch des postmodernen Poeten Sergej Birjukow aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt hat.[1]

Glücklicherweise lebt Birjukow, Gründer und Präsident der Internationalen Akademie der Transrationalen Sprache, in Deutschland.

Deutsche Quellen teilten weiter viel Interessantes mit, beispielsweise erfuhren wir, dass Viktor Kalinke (sein bürgerlicher Name ist Torsten Klemm) mit seinen vierzig Jahren schon einiges hinter sich hat und eine außergewöhnliche Person ist. Studiert hat er Mathematik und Psychologie in Dresden, Leipzig und Peking und promoviert an der Universität Leipzig. Jahrelang arbeitete er als Psychologe in ostdeutschen Gefängnissen und sammelte Erfahrungen, für die er auch in seinen literarischen Texten Verwendung fand. Dann aber wechselte er den Beruf und wurde Verleger. Dazu haben wir ihn im Detail interviewt. Immerhin ist Viktor Kalinke einer derjenigen, von denen es abhängt, ob russische Literatur im Land Sachsen veröffentlicht wird.

— Sie haben einen russischen Familiennamen? Woher kommt das?

— Das ist der Name eines Buchhelden in meinem ersten Roman. Ich habe ihn mir zugelegt, weil ich damals in der Haftanstalt arbeitete, und es kaum möglich gewesen wäre, die Texte unter meinem eigenen Namen zu veröffentlichen. Mir schien allerdings, dass „Kalinke“ - kein russischer Name ist, sondern eher ein jüdisches Wort, der Familienname eines Städtle-Juden.

— Sprechen Sie Russisch?

— Etwas. Ich habe Russisch in der Schule gelernt. Aber ich war zweimal in Russland und mündlich verstehe ich es ganz gut.

— Dann erlauben Sie die etwas unverschämte Frage. Wie ist es Ihnen gelungen, mit diesem Wissen die Gedichte von S. Birjukow zu übersetzen?

— Es handelte sich in diesem Fall nicht einfach um Poesie, sondern um eine Poesie mit besonderen Eigenschaften, die auf Lauten, Zeichnungen und der Einheit mit der Natur und den heiligen Quellen des menschlichen Geistes beruht. Die inhaltliche Seite ist da nicht das Wichtigste. Ich bestehe auch gar nicht darauf, dass etwas gerade so oder so sein soll. Ich habe meine Arbeit (gemeinsam mit anderen als Mitautor) gemacht, wie ich damals fühlte und dachte.

— Verständlich. Wie schon der unvergessene Wassili Schukowski sagte: „In der Prosa ist der Übersetzer Sklave, in der Poesie - Konkurrent." Wenn Ihnen die postmoderne Poesie so gefällt, wie erklärt es sich dann, dass Sie in Ihrem Verlag die Übersetzungen der Jessenin-Gedichte von Erich Ahrndt veröffentlicht haben?[2]

— Klassik ist Klassik und wird von den Menschen immer gebraucht. In der Kunst sollte man auf nichts verzichten. Außerdem gefällt mir die Zusammenarbeit mit diesem interessanten, kreativen Menschen und wirklich talentierten Übersetzer.

— Haben Sie noch Verbindung mit Russland? Interessieren Sie sich für russische Literatur?

— Wir drucken russische Autoren, aber nicht unbedingt deshalb, weil sie Russen sind. Wir suchen und finden einfach Autoren, die für unseren Verlag interessant sind. Darunter sind auch russische Schriftsteller.

— Welcher Literatur geben Sie und ihr Verlag den Vorzug?

— Wir sind nicht der Meinung, dass nur die literarischen Texte, die „typische Figuren oder typische Lebensbedingungen“ darstellen, eine Existenzberechtigung haben. Das Leben ist kompliziert und vielfältig. Um es zu verstehen, bedarf es nicht nur der realistischen Literatur. Meine Kollegen und ich, wir begeistern uns für den Surrealismus. Uns interessiert alles Grelle, Frische und Ungewöhnliche: besondere Leidenschaften der Autoren, phantastische Ansichten von der Welt, die Verbindung verschiedener Kunstarten usw. Vor allem gefällt uns die russische Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts.

— Die Übersetzungen welcher Autoren sind bei Ihnen bereits erschienen?

— Beispielsweise diese drei Bücher hier. Ich würde mich sehr freuen, Ihre Meinung dazu zu hören.

Wie versprochen wenden wir uns den im Leipziger Literaturverlag erschienenen Büchern russischer Autoren zu..

1. Nina Chabias: Guttapercha des gänsehäutigen Gehänges. Gedichte. Aus dem Russischen übersetzt und kommentiert von Henrike Schmidt. Mit einem Vorwort von Sergej Birjukov. Illustrationen von Djamal Djumabaeva. (Leipziger Literaturverlag 2008. 2 Druck 2010, ISBN 978-3-86660-042-3)

Die Lyrikerin Nina Chabias (Nina Petrowna Olobenskaja, geborene Komarowa, 1892-1943, Absolventin des Smolnyj - Instituts tugendhafter Mädchen) ist ein erstaunliches Dichterexemplar der russischen Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihr Aufsehen erregender Gedichtband „Stichetty“, erschienen 1922, traf das Publikum wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die offenherzigen erotischen Darstellungen und vor allem der Umstand, dass die tugendhafte Dame die intimsten Dinge beim Namen nannte, erschütterten die russischen Leser. Die Dichterin geriet als „Gräfin Unflat“ und „Barkowa im Rock“ in Verruf. Zwei Monate Gefängnis saß sie in der Butyrka wegen des Buches ab. Später, im Jahr 1937, wurde sie allerdings erneut verhaftet - und zwar ohne jeglichen poetischen Anlass, sondern wegen antisowjetischer Propaganda. Zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, blieb sie fast bis an ihr Lebensende eingesperrt.

Heute wirkt die Poesie von Nina Chabias längst nicht mehr so unverschämt und herausfordernd wie einst. Der moderne Leser hat geläuterte Erwartungshaltungen. Andere Zeiten - andere Sitten. Er findet in diesem Buch weibliche, erotische Liebeserlebnisse, gewürzt mit einer quälenden Traurigkeit, die sich aus einem beinahe mystischen Gefühl des kommenden Schicksals speist. Die deutsche Ausgabe hat außerdem den Vorzug, dass sie mit einem Vorwort des Meisters S. Birjukow aufwarten kann. Die gelungene Buchillustration stammt aus der Feder der talentierten Künstlerin Djamal Djumabaeva, deren Weltsicht offensichtlich mit der von Chabias im Einklang steht.

2. Gennadij Ajgi: Immer anderes auf die Erde. Gedichte. Ausgewählt und übertragen von Walter Thümler. (Leipziger Literaturverlag, 2009, ISBN 978-3-86660-1)

Bis 1969 nannte sich Ajgi, der, wie ihn R. Jakobson beschreibt, „außergewöhnliche Poet der modernen russischen Avantgarde“ nach dem Vater - Gennadij Lisin. „Ajgi“ wurde sein poetisches Pseudonym und bezieht sich auf den Großvater mütterlicherseits. Der Großvater war der letzte Schamane eines tschuwaschischen Dorfes. G. Ajgi schrieb seine ersten Gedichte in der Muttersprache Tschuwaschisch. Später wechselte er auf Anraten B. Pasternaks ins Russische. Seine Poesie wurde lange Zeit jedoch nur im Ausland veröffentlicht.

Ajgi hielt sich für einen Nachfolger von W. Chlebnikow, W. Majakowski und K. Malewitsch. Seine Dichtung lebt jedoch nicht von den komplizierten, sondern von einfachsten, ursprünglichen Formen der Poesie, die der Musik verwandt sind. Große Bedeutung maß Ajgi der Gestaltung seiner Lyrikbände zu. Für ihn hatte jede Buchseite eine bildhafte Bedeutung, die unmittelbar mit seiner Poesie in Verbindung stand.

Zwischen 1961 und 1971 arbeitete der Dichter im Staatlichen Majakowski-Museum. Er bereitete Ausstellungen von K. Malewitsch und W. Tatlin sowie anderer Meister der russischen Avantgarde vor. Außerdem verfasste er Anthologien der französischen, ungarischen und polnischen Lyrik. Die erste größere Ausgabe seiner Werke erschien 1975 in München. Auch die in Leipzig jetzt herausgegebenen Übersetzungen der Gedichte (des bereits verstorbenen) G. Ajgi hält sich penibel und liebevoll an alle Postulate seines dichterischen Werks: Die Ajgisten der ganzen Welt halten sich in zwei Sprachen daran - im Deutschen und im Russischen.

3. Leonid Aronson: Innenfläche der Hand. Gedichte. Aus dem Russischen von Gisela Schulte und Marina Bordne. (Leipziger Literaturverlag, 2009, ISBN 978-3-86660-069-0)

Der legendäre Leningrader Poet Leonid Aronson (1939-1970) war zu Lebenszeiten, er starb sehr jung im Alter von 31 Jahren, nur wenigen Liebhabern der russischen Wortkunst ein Begriff. Einige betrachteten ihn als Konkurrenten von I. Brodsky. Aronson und Brodsky lebten Anfang der 1960er Jahre in ein und derselben Stadt und kommunizierten miteinander. Ihr Charakter und ihre Arbeiten konnten jedoch kaum unterschiedlicher sein. Aronsons Poesie kreist um die Motive des Himmelreichs, der Schnelllebigkeit des Erdenlebens und besingt jeden, von Gott geschenkten, glücklichen Augenblick. Er entwickelte die Traditionen der Poesie eines Pasternaks, einer Achmatowa, eines Mandelstams weiter und, viel mehr noch die Poetik Chlebnikows und Sabolozkis. Letzterem widmete er seine Diplomarbeit. Die zirkelnden Sonette und andere nicht weniger ausgesuchte Gedichte Aronsons wurden nur im Samisdat verbreitet.

Die erste Ausgabe zweier Gedichtebändchen (in Israel und Russland) erschien viele Jahre später nach dem Tod des Dichters. Die Auflage der Ausgabe war so gering, dass weder die Leser noch die Kritiker sie zur Kenntnis nahmen. Erst das Buch „Smert babotschki“, veröffentlicht 1998 in der Redaktion von Arkadij Rowner und Wiktor Andrejew, einschließlich der Gedichte L. Aronsons und der parallelen Übersetzungen in die englische Sprache (Übersetzer - Richard McKane)[3], machte den Dichter bei einer großen Leserschaft bekannt. In Deutschland wurde der Dichter in ähnlicher Weise 2009 entdeckt, als der Leipziger Literaturverlag, einen Gedichtband Aronsons in deutscher und russischer Sprache veröffentlichte. Kritiker und Literaturwissenschaftler feierten den russischen Autor im Anschluss an die Veröffentlichung als einen der größten Poeten des 20. Jahrhunderts. Von diesem Moment an begann für die Poesie Leonid Aronsons, die zuvor im deutschen Sprachraum tatsächlich unbekannt war, ein neues Leben in den Herzen und in der Seele der Leser.


Dem Leipziger Literaturverlag und Viktor Kalinke sei es gedankt!

Übersetzung SW



[1]  Sergej Birjukov, Jaja Dada, Gedichte: russisch - deutsch, Leipzig 2004 (mit Mala Vikaite, Henrike Schmidt, Bernhard Sames u.a.), ISBN 3-934015-63-8 und als Hörbuch ISBN 3-934015-70-0.

[2]  Sergej Jessenin: Winter singt - es ist ein Schreien, Leipziger Literaturverlag, 2010.

[3]  Ì: Gnosis Press & Diamond Press.




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