О времени и о себе - Литературные портреты

Osten und Westen von Zamir Juschaev

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Автор: Svetlana Volskaia
Добавлено: 2013-10-04 21:57:27
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In Leipzig wohnen mehr als 1000 Maler. Nicht viele von ihnen haben eigene Ateliers, geschweige denn eigene Häuser. Und ganz wenige sind bekannt, besonders, wenn sie Migranten sind. Aber es gibt keine Regel ohne Ausnahme.

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Zamir Juschaev
Zamir Juschaev

Zamir Juschaev, Mitglied des Malerverbunds Deutschlands, wohnt bereits seit 20 Jahren in Leipzig. In Dagestan geboren, hat er an der berühmten Repins Kunstakademie in Sankt Petersburg studiert, genauso wie sein älterer Bruder Sultan (ebenfalls ein bekannter Maler, der in Belgien wohnt). Aber das Schicksal wollte nicht, dass Zamir das Studium abschließt.

1989 luden ihn Freunde in die DDR ein, sein erster Besuch in Deutschland. Während der Ferien beschloss der angehende Maler, damals noch Student, als Straßenportraitist etwas dazu zu verdienen. Es dauerte nicht lange, bis die begeisterten Leipziger Schlange standen, um sich von Juschaev malen zu lassen.

Der Erfolg beflügelte ihn und das Wunderland-Deutschland zog ihn in seinen Bann. Im Jahre 1992 bekam er die Möglichkeit, sich am Kunstinstitut ein zu schreiben. Zamir Juschaev konnte damals nur wenig Deutsch, aber seine Bilder überzeugten die strenge Aufnahmekommission.

Das studentische Leben in Deutschland war für den Maler nicht sorgenfrei. Er musste seinen Lebensunterhalt alleine, ohne fremde Hilfe bestreiten und mit den alltäglichen Schwierigkeiten kämpfen. Die Strapazen härteten seinen Charakter ab. Zamir Juschaev absolvierte sogar ein Zweitstudium – Deutsch als Fremdsprache. Mittlerweile hat er sich gut in Deutschland eingelebt, viele gute Freunde gefunden und sich als Maler einen Namen gemacht.

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Zamir Juschaev. Angelina Jolie
Angelina Jolie

Heute lassen sich Prominente, wie Montserrat Caballe oder Angelina Jolie, sowie viele russische Politiker und Geschäftsleute von Juschaev malen. Die Prominenten-Portraits, wie das von Katarina Witt, der Sängerin Nicole und des Schauspielers Peter Ustinov, hat der bekannte Kunstsammler Jens Ruber im Jahre 2003 gekauft und im Atelier von Juschaev ausgestellt.

Juschaev bekommt unzählige Aufträge, seine Kunst ist sehr gefragt. Seine erste eigene Werkstatt befand sich in der Innenstadt, direkt am Leipziger Zoo. Da er jedoch Ruhe für seine Arbeit braucht, renovierte er zusammen mit seinen Freunden ein Gebäude in der Reclamstraße 34. Dort ist jetzt sein Atelier, seine Galerie und Keramikwerkstatt zu finden.

Zamir Juschaev ist einer der wenigen tschetschenischen Maler, der im Stil des Surrealismus schafft. "Surrealismus" stammt aus dem Französischen und bedeutet wortwörtlich "über dem Realismus" oder "jenseits des Realismus". Er ist für die europäische Kunst charakteristisch. Das Unbewusste, Träume und Halluzinationen sind Lieblingssujets des Surrealismus.

Juschaev malt jedoch nicht nur das Phantastische. Das Besondere an seinen Bildern ist das tschetschenische Thema: Erinnerungen, Folklore und das unverwechselbare Kolorit seines Heimatlandes. Seine Bilder weisen Merkmale des Realismus auf, die Kunstrichtung, die für die Mehrheit der Vertreter der russischen Kunsttradition typisch ist.

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Zamir Juschaev. Im Land der Adler
Im Land der Adler

Das Leben und Werk Juschaevs vereinigt auf eine sonderbare Weise Osten und Westen - nicht nur im Sinne der Kunst, sondern auch ihrer Philosophie. Nicht alle Werke Juschaevs sind optimistisch, aber jedes bannt mit seinen prachtvollen Farben und energischen, in Bewegung dargestellten Figuren die Aufmerksamkeit des Betrachters. Seine Bilder besitzen immer einen verborgenen Sinn, den der Betrachter entschlüsseln muss.

Das beeindruckende Bild "Frühling in Tschetschenien"
Zamir Juschaev. "Frühling in Tschetschenien"
ist dem Entstehen der ersten Liebe gewidmet (erste Träume, das Gefühl der Schmetterlinge im Bauch, das erste sexuelle Verlangen). Auf dem Bild sind zwei Figuren dargestellt: Ein junger Mann und ein Mädchen treffen sich an einem Bach, so wie es in der Folklore typisch ist.


Das Mädchen, das zum Wasserschöpfen gekommen ist, steht mit gesenktem Blick da. Ihre Körperhaltung zeigt jedoch keine Schüchternheit oder Ergebenheit. Der junge Mann ist im Begriff, sie zu erobern, zu bezwingen: Seine Hand greift machtvoll nach dem Mädchen. Aber er zögert und macht den letzten entscheidenden Schritt nicht. Die Unsicherheit der Situation wird durch ein Detail verdeutlicht: Der kleine Ball unter seinem Fuß ist dabei, weg zu rollen. Der Mann steht am Rande einer tiefen Schlucht. Wenn er das Gleichgewicht verlöre, würde er ins Bodenlose stürzen.

Das geheimnisvolle Bild "Im Land der Adler" hinterlässt den Eindruck der Gefahr: Die verletzliche Weiblichkeit ist der aggressiven männlichen Kraft schutzlos ausgeliefert.

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Zamir Juschaev. Der nächtliche Leser
Der nächtliche Leser

Sehr expressiv ist das Bild mit dem Titel "Der nächtliche Leser".

Das Werk enthält den Gedanken, dass unsere tiefsten Ansichten und Vorstellungen falsch sein können. Das Bild stellt einen Karatesportler in tschetschenischer Tracht dar, der in der Dunkelheit versucht, seine Bewegungen auf den Inhalt eines Buches abzustimmen. Aber wer weiß, ob er das Geschriebene richtig versteht? Ist er gerade dabei, einen Fehler zu begehen?

Die Werke Juschaevs sind so ungewöhnlich wie die Persönlichkeit des Autors.

Herr Juschaev ist ein sehr aktiver Mensch: Er hat an mehr als 20 Kunstausstellungen, überwiegend in Deutschland, teilgenommen sowie an einer Kinoproduktion als Schauspieler mitgewrikt. Er gibt Malereiunterricht für Kinder. Jeder, der sich mit ihm unterhält, spürt seine Energie – die Energie eines erfolgreichen Mannes. Vielleicht liegt sein Geheimnis darin, dass Osten und Westen ihn sein Leben lang begleiten.

Das unsere Interview:

— Herr Juschaev, welcher Tradition in der Malerei geben Sie Vorzug?

— Wissen Sie, ich habe drei Jahre in Sankt Petersburg studiert und das, was ich gelernt habe, ist immer bei mir. Es hilft, meine Ideen und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die deutsche Kunstausbildung lässt Raum für Phantasie, erlaubt alle Regeln zu hinterfragen bzw. ganz abzulegen. Ich denke, ich habe das große Glück gehabt, die Vorteile beider Schulen nutzen zu können. Der Surrealismus ist eine sehr interessante Erscheinung. Ich mag es, in das Geheimnisvolle im Menschen hineinzublicken.

— Welchen Platz hat Tschetschenien in Ihrem Werk? Wie oft besuchen Sie Ihr Heimatland und was inspiriert Sie am meisten: die Folklore, die Geschichte oder die Geschehnisse von heute?

— Ich fahre oft dorthin. Mit dem Alter habe ich zunehmend das Verlangen danach. Ich will stets im Bilde sein, wissen, was in Tschetschenien passiert. Nicht alles gefällt mir, aber ich freue mich, dass der Krieg beendet ist. Ich hoffe, die Republik wird sich bald erholen und dass der wirtschaftliche Aufschwung beginnt. Ich möchte dabei helfen, wie ich nur kann. Diesen Sommer nehme ich eins meiner Bilder nach Tschetschenien mit. Es ist wichtig, dass die nationale Kultur für die nächsten Generationen erhalten bleibt. Dafür engagiere ich mich. In meinen Gedanken schlage ich ständig Brücken zwischen dieser und dortiger Realität und versuche das Beste für meine Bilder zu nehmen.
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Richtiges Zuhause
Richtiges Zuhause


— Wo ist Ihr richtiges Zuhause?

— Meine Werkstatt, wo ich ungestört arbeiten kann. Hier in Deutschland genieße ich Ruhe und Stille und habe die Möglichkeit, mich voll auf meine Arbeit zu konzentrieren.

— Aber Ihr Weg zum Erfolg in Deutschland war nicht leicht. Welche Rolle spielten die Schwierigkeiten dabei: Störten sie, halfen sie oder hatten sie keine Bedeutung?

— Auf alle Fälle konnte ich mich nicht entspannt zurücklehnen. Mit staatlicher Unterstützung war nicht zu rechnen und ich musste sehen, wie ich über die Runden komme. Ich habe viel gearbeitet und immer an die Worte Da Vincis geglaubt: "Inspiration ist die Belohnung für die schwere Arbeit." Aber man braucht etwas mehr als Mühe und Talent um erfolgreich zu sein. Ich meine damit das Talent eines Menschen, seine Arbeit vorteilhaft zu präsentieren, zu verkaufen. Das muss ich jeden Tag tun und das gefällt mir!

— Heutzutage gibt es sehr viele junge Leute in Deutschland, die nicht arbeiten wollen und auf staatliche Kosten leben. Was würden Sie in diesem Zusammenhang als Vater Ihrem Sohn ans Herz legen?

— Unbedingt eine gute Ausbildung machen, sich bemühen, nach dem eigenen Platz im Leben zu suchen. Bisher konnte ich mich über seine Erfolge nur freuen: Er schreibt gute Noten im Gymnasium, träumt von der Arztlaufbahn und malt gut…


Übersetzung: Olga Koseniuk




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